von Vince Ebert
Der Buddhismus erinnert ein wenig an Coca Cola. Keiner kennt die Zusammensetzung, aber trotzdem finden ihn alle irgendwie gut. Besonders in Manager-Seminaren gilt es als unglaublich schick, sich einen Zen-Meister ins Haus zu holen, der dann der deutschen Wirtschaftselite in gebrochenem Englisch für einen Tagessatz von 10.000 Euro etwas über Verzicht, Askese und inneren Frieden erzählt. Immer mehr gestandene 50jährige Vorstandsvorsitzende gehen für zwei Wochen ins tibetanische Schweigekloster, in der Hoffnung zu ihrem Allerinnersten vorzudringen. Ohne jedoch zu bedenken, dass sie dort eventuell auch absolut nichts vorfinden könnten. Ein grausamer Gedanke.
Ende dieses Monats wird nun mal wieder der Dalai Lama drei Tage lang die Frankfurter Commerzbank-Arena mit seiner Anwesenheit beglücken. Der tibetanische Gottkönig könnte aus dem Wuppertaler Telefonbuch vorlesen und das gesamte christliche Abendland verdreht verzückt die Augen. Zugegeben, wenn der selbsternannte „Ozean des Wissens“ Lebensweisheiten unter’s Volk wirft, wie zum Beispiel: „Eine liebevolle Atmosphäre in Deinem Haus ist das Fundament für Dein Leben.“ oder auch „Nur wer Leid erträgt, wird Glück erfahren!“ dann kann man schon mal auf komische Gedanken kommen. Hat die „Große Leuchte der Weisheit“ vielleicht doch nur eine Energiesparbirne? Der Kaiser ist nackt und keiner traut es sich zu sagen.
Worum genau geht’s eigentlich im Buddhismus? Begonnen hat alles im Mai 509 vor unserer Zeitrechnung. Da ist ein gewisser Siddhartha Gautama sitzend unter einem Feigenbaum zum Buddah geworden. Und zwar durch die immense Erkenntnis, man solle sich von Extremen fern halten und stets den goldenen Mittelweg anstreben. Punkt. Das war’s. Viel mehr kommt nicht. Ich persönlich glaube, wenn das die Erleuchtung ist, wird sie eindeutig überschätzt.
Nichtsdestotrotz ist der Buddhismus vielen Menschen sympathisch, weil er eine Lehre ohne Gottheit ist und zu selbstständigem Handeln und Eigenverantwortung aufruft. Doch auch das ist bei näherer Betrachtung nicht so ganz richtig. Salopp gesagt, besagt der tibetische Buddhismus: Wenn Du dich in Deinem Leben gut verhalten hast, wirst Du als Delphin, Günter Jauch oder Schweizer wiedergeboren, wenn nicht, dann als Flughörnchen 9LiveModerator oder Ostdeutscher. Dieses Weltbild ist jedoch alles andere als human. Denn es besagt, dass Menschen in sozialem Elend selbst an ihrem Schicksal schuld sind, da sie offensichtlich in einem früheren Leben ein schlechtes Karma erworben haben. Umgekehrt sind sozial hochstehende Menschen zurecht auf dieser Position, da sie im früheren Leben ein gutes Karma angehäuft haben. Da ein Auf- bzw. Abstieg im aktuellen Leben nicht möglich ist, ist es eine perfekte Ideologie, um Vorurteile und Rassenunterschiede zu zementieren.
Was im Übrigen auch lange Zeit in Tibet üblich war. Jahrhundertelang waren die Lamas brutale Gewaltherrscher, die ihr eigenes Volk als Sklaven und Leibeigene gehalten haben und den Rest davon faktisch verhungern ließen. Noch in den Fünfzigern hatten die Lamas die uneingeschränkte Macht, jeder beliebigen tibetanischen Familie willkürlich ihre drei bis vierjährigen Söhne zu entreißen, um sie als Klosterschüler auszubilden. Erst die Chinesen setzen durch, dass das Eintrittsalter auf 16 Jahre hochgesetzt wurde. Eine Maßnahme, die der Dalai Lama fortan als „kulturellen Völkermord“ bezeichnet.
Es ist eine Farce, ausgerechnet das Oberhaupt eines solchen Systems, zu einem Verteidiger der Menschenrechte zu stilisieren. Ironischerweise hat der Dalai Lama, der sich selbst als den Fürsprecher für Freiheit und Demokratie bezeichnet, sich nie selbst von seinem eigenen Volk demokratisch legitimieren lassen. Er wurde von einer kleinen, elitären Minderheit zum geistigen Oberhaupt erklärt. Dass er sich selbst zum Repräsentanten von Tibet ausgerufen hat, ist in etwa genauso, als würde sich Kardinal Meissner als deutscher Regierungschef bezeichnen.
Wenn interessiert schon, dass der Ozeangleiche Lehrer eine enge Freundschaft zum Gründer der für die Giftgas-Anschläge in Tokio verantwortlichen Aum-Sekte pflegte? Oder dass er bis in die 90ger mit ehemaligen hohen SS-Offizieren befreundet war? Aber wer so nett grinst, kann irgendwie kein schlechter Mensch sein. Und außerdem stört uns dieses Bild bei der Dämonisierung Chinas.
Ob der Einmarsch der Chinesen 1950 berechtigt war oder nicht, ist sicherlich eine schwierige Frage. Der Ostasienkundler Thomas Heberer sagt dazu: „Klar ist, dass die chinesische Regierung ihr vermeintliches Recht mit Gewalt durchgesetzt hat. Vom westlichen Standpunkt her mag es sich um eine Invasion gehandelt haben. Vom chinesischen handelte es sich um eine Wiederherstellung eindeutiger Rechte.“
In Wirklichkeit ist unser infantile Getue um den grinsenden Phrasendrescher mit dem lustigen Kassengestell der Ausdruck einer fundamentalen Orientierungslosigkeit. Die verzweifelte Sinnsuche einer Gesellschaft, die keine wirklichen existenziellen Probleme mehr hat. Ein arrogantes Rumgejammere, nicht etwa weil wir berechtigten Grund dazu haben, sondern eben gerade weil unser Leben so gut funktioniert. Denn wenn wir uns nur ordentlich Sorgen machen, machen wir uns wichtig. Gehen Sie die Straße pfeifend entlang und die Menschen werden sie einen bekloppten Irren nennen. Beugen Sie sich jedoch in der U-Bahn zu einem glücklichen Menschen und sagen: Wie können sie es wagen zu lächeln, während in Tibet unschuldige Menschen sterben? Dann gelten sie als verantwortungsvoller, kritischer Mensch.
Und so kommt es vor, dass modern denkende Zeitgenossen, die den Vatikan als überkommen, verstaubt und voraufklärerisch ablehnen, sich umso vehementer in die zweifelhaften Arme der tibetanischen Mystik werfen. Ohne sich freilich dafür zu interessieren, dass viele Free-Tibet Organisationen von den USA großzügig mit Millionenspenden unterstützt werden, weil die Propagandamaschine Dalai Lama ein probates Mittel ist, um der aufstrebenden Wirtschaftsmacht in China zu schaden. Um Menschenrechte oder gar die Einführung demokratischer Strukturen geht es dabei nicht. Und um Freiheit schon gar nicht.
Quelle: Achse des Guten
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