von Henryk M. Broder
Erich Follath, ein erfahrener und weit gereister Reporter, hat in der vorletzten Ausgabe des SPIEGEL ein Doppelporträt des iranischen Präsidenten Ahmadineschad und des israelischen Ministerpräsidenten Netanjahu veröffentlicht. Wie schon der Titel - „Das Duell der Auserwählten“ - verspricht, geht es in dem Essay um den Kampf zweier männlicher Alphatiere, die aufeinander zurasen wie Lokomotiven auf einer eingleisigen Strecke.
Natürlich ist es verführerisch, einen Konflikt auf den Clash zweier Egomanen zu reduzieren. Schon Ulrich Wickert hat Osama Bin Laden als ein Spiegelbild von George Bush zu zeichnen versucht, andere Hobbymoralisten wollten den amerikanischen Präsidenten und den Al-Kaida-Führer auf eine unbewohnte Insel bringen, um sie dort gegeneinander kämpfen zu lassen und so der Welt einen Krieg zu ersparen.
Der Charme solcher Ideen liegt in ihrer Entrücktheit. Wenn sie zu etwas nutze sind, dann vor allem dazu, ihren Verbreitern das Gefühl zu geben, über den Dingen zu stehen, eine Äquidistanz zu den Objekten ihres Interesses zu wahren. Weder der iranische Präsident noch der israelische Ministerpräsident sind „Auserwählte“. Ahmadineschad ist die Marionette eines Systems, dessen Machthaber in den Kulissen agieren, Netanjahu hat nach einer Wahl eine Koalition zusammengefügt, die über eine Mehrheit in der Knesset verfügt. Man muss ihn nicht mögen. Aber man kann sich nicht um die Erkenntnis drücken, dass er im Gegensatz zu dem iranischen Präsidenten demokratisch legitimiert ist. Dass beide auf die gleiche Weise atmen, essen und verdauen, reicht nicht aus, um sie auf eine Stufe zu stellen und ihre politische Performance wie einen Auftritt von Karl und Franz Mohr aus dem Parkett heraus zu rezensieren.
Genau das aber tut Follath. Seine scheinbare Äquidistanz beruht auf einem Kunstgriff. Er zitiert, er stellt gegenüber. Auf der einen Seite die Verteidiger des iranischen Präsidenten; sie sagen, man müsse sich dessen Wunsch nach einem Verschwinden Israels von der Landkarte „eher metaphysisch“ vorstellen. Auf der anderen Seite Israel, das vor lauter Kraft kaum noch laufen kann, von Metaphysik keine Ahnung hat und sich nicht einmal bedroht fühlt, sondern nur „bedroht zu fühlen scheint“. Mit solchen sprachlichen Feinheiten unterlegt, werden Follaths eigene Spekulationen zu Fakten aufgemotzt. Er zitiert eine „stets gut informierte israelische Tageszeitung“, die sich ihrerseits auf Politiker beruft, „die in Verbindung mit Netanjahu stehen“ und deswegen sagen, „er habe seinen Entschluss zur militärischen Zerstörung der iranischen Nuklearanlagen schon gefasst“. Das ist Hörensagen vom Hörensagen, nur einen Atemzug vom Kaffeesatzlesen entfernt. Aber es insinuiert, dass Israel den Iran bedroht, während der Iran sich mit metaphysischen Übungen fit hält.
Und während der iranische Präsident die Rückkehr des im 9. Jahrhundert verschwundenen 12. Imam durch einen „reinigenden Umsturz“ beschleunigen möchte, gibt sich der israelische Ministerpräsident einer noch skurrileren Marotte hin. „Bibi“ ist überzeugt, dass er „Amalek“ daran hindern muss, Israel zu überfallen, so wie der „Krieger aus Kanaan“ die Hebräer auf dem Weg ins Heilige Land schon einmal überfallen hat. Woher weiß Follath das? Er hat es bei Jeffrey Goldberg, einem „Israel-Kenner“, gelesen, der sich seinerseits „bei einem Netanjahu-Vertrauten“ schlau gemacht hat. Diskretion ist auch im Journalismus die halbe Miete.
Außerdem will „Bibi“ aus dem Heldenschatten seines Bruders „Joni“ treten, der bei der Befreiung der Geiseln von Entebbe ums Leben gekommen ist. Das wiederum ist Follath klar, seit er die Familie Netanjahu vor über 30 Jahren, nur ein paar Tage nach dem Tode von „Joni“, in Jerusalem besucht hat. Diese Erinnerung, angereichert mit ein paar Sätzen aus dem Fünften Buch Mose, reicht Follath, um das gegenwärtige „apokalyptische jüdische Gedankengebäude“ zu begreifen. Es basiert auf der Idee, „nach einem möglichen iranischen Nuklear-Erstschlag...“ werde es „einen Judenstaat nicht mehr geben“.
Damit schiebt Follath den Psycho-Peter Israel zu, das sich „bedroht zu fühlen scheint“, statt in aller Ruhe abzuwarten, was nach einem möglichen iranischen Nuklear-Erstschlag vom Judenstaat übrig bleiben könnte. Würde ein Nachbar von Follath immer wieder erklären, er sei ein Störenfried, er solle sein Haus räumen und dahin verschwinden, woher er gekommen ist, käme der Kollege nicht auch auf die Idee, die Forderung könnte ernst gemeint sein? Würde er sie „eher metaphysisch“ verstehen und sich die Vorfreude auf das nächste Gartenfest nicht vermiesen lassen?
Für das Bagatellisieren und Banalisieren der iranischen Drohgebärden gegenüber Israel gibt es zwei mögliche Erklärungen: „Wir sind ja nicht gemeint.“ Oder: „Es trifft keine Unschuldigen.“
Es gibt eine Unzahl von Statements von Ahmadineschad und aus seinem Umfeld, die sich nicht wegdebattieren lassen. Israel sei ein Geschwür, das aus der Mitte der moslemisch-arabischen Welt entfernt werden müsse, ein Fremdkörper im Fleisch der „Umma“, die Ursache aller Übel. Ahmadinejads Wunsch nach einer „World without Zionism“ ist keine abstrakte Utopie, sondern ein Euphemismus für den nächsten Anlauf zur Entjudung der Welt. Er ist klug genug, sein Ziel zu beschreiben, ohne zu sagen, wer den Job erledigen soll. Nicht zum ersten Mal fehlt das letzte Glied in einer Beweiskette. Auch nach dem Führerbefehl zur letzten Endlösung der Judenfrage wird noch immer gesucht.
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