21. August 2009

Die jungen Wähler sind Karsai und die Taliban leid

Kommentar von Clemens Wergin 19. August 2009, 23:07 Uhr

Wer sich auf den Aufbau einer neuen Nation einlässt, muss wissen, dass das lange dauert. Fast acht Jahre nach dem US-Einmarsch beginnt die Saat aufzugehen, die die internationale Gemeinschaft gesät hat. Vor allem die Jungen fordern Teilhabe ein und wollen Amtsinhaber Karsai und die Warlords loswerden.


Nach der Vertreibung der Taliban hat das westliche Verhältnis zu Afghanistan drei Phasen durchlaufen. In der ersten neigte man zum optimistischen Überschwang. Gerade in Europa wollten die Regierungen ihr militärisches Engagement nicht allein als Eigeninteresse verstanden wissen. Ein idealistischer Ansatz musste her. Deshalb war in den ersten Nach-Taliban-Jahren viel von Frauenrechten und Demokratie die Rede.

Solch hohe Erwartungen mussten zwangsläufig enttäuscht werden. Phase zwei war deshalb eine der Ernüchterung. Alles schien irgendwie beim Alten zu bleiben, die Amerikaner konzentrierten sich notgedrungen auf den Irak, und die Taliban erstarkten. Nur Korruption und Mohn sprossen fröhlich aus der kargen afghanischen Erde. Afghanistan war vom Hoffnungs- wieder zum Problemfall geworden. Gerade in Europa stiegen die Aktien der Schwarzmaler, die gerne die Erfahrungen früherer Besatzer – der Briten und Russen – anführen, um deutlich zu machen, dass man am Hindukusch nur scheitern kann und sich die Nato besser früher als später zurückziehen sollte.

In Phase drei wurden die Erwartungen dann merklich heruntergesetzt. Barack Obamas neue Strategie will von Frauenrechten und Demokratie nicht mehr viel wissen – Hauptsache, das Land wird leidlich stabil und nicht erneut zum Trainingslager von al-Qaida. Die Enttäuschung im Westen sagt etwas aus über den Zustand Afghanistans und die immer prekärer werdende Sicherheitslage im Land. Noch viel mehr verrät sie allerdings über unsere Ungeduld.

Wer sich aber auf „nation building“ einlässt wie in Afghanistan, muss wissen, dass es sich um ein langfristiges Projekt handelt. Das konnte man schon auf dem Balkan beobachten, wo auch kein Ende der internationalen Präsenz absehbar ist. Im Vergleich dazu ist die gesellschaftliche Struktur Afghanistans noch viel weiter zerstört gewesen und war viel weniger „Humankapital“ vorhanden, auf dem man aufbauen konnte. Dabei setzt der Westen aber pro Kopf der Bevölkerung nur einen Bruchteil der Mittel ein, die er für den Balkan zur Verfügung stellte. Es ist also kein Wunder, dass Afghanistan ein gemischtes Bild abgibt.

Einerseits gelingt es den Taliban wie seit Jahren nicht, immer größere Teile des Landes unsicher zu machen. Andererseits zeigt gerade der nun zu Ende gehende Wahlkampf, dass der Reifungs- und Modernisierungsprozess des Landes durchaus vorankommt. Vor fünf Jahren waren die Präsidentschaftswahlen kaum mehr als die Akklamation des zuvor eingesetzten Präsidenten Hamid Karsai, der die Unterstützung des Westens genoss. Heute hingegen gibt es ein spannendes Rennen zwischen verschiedenen Kandidaten – mit offenem Ausgang. Kaum ein Tag vergeht, an dem Kandidaten sich nicht kritischen Fragen in Fernsehen und Radio stellen müssen. Nicht nur in den Städten des Landes wird lebhaft über die Zukunft Afghanistans diskutiert. Und die Jungen fordern mehr Teilhabe und Demokratie und wollen Karsai und die ganzen Warlords lieber früher als später loswerden.

Es wächst also mehr als Mohn und Korruption in diesem Afghanistan. Fast acht Jahre nach dem Einmarsch der Amerikaner beginnt die Saat aufzugehen, die die internationale Gemeinschaft gesät hat. Das sind noch zarte Pflänzchen, die weiter des Schutzes, auch militärischen, gegen die Taliban bedürfen. Aber diese Jugend, der es oft gelungen ist, die Bildungschancen zu ergreifen, die sich nach der Vertreibung der Taliban eröffnet haben, fordert nun energisch ihren Anteil an Afghanistans Zukunft ein. Sie wissen, was draußen in der Welt alles möglich ist an Lebensentwürfen. Und sie wollen sich nicht mit dem zufriedengeben, was die Karsais ihnen an Politik nach altem Muster bieten.

Man wird sehen, wie viel altes und wie viel neues Afghanistan aus dieser Wahl hervorgeht. Eins aber kann man sagen: Dieser Wahlkampf hat das Bewusstsein vieler junger Afghanen verändert. Sie stellen Forderungen und wollen Rechenschaft von ihren Politikern und Programme für die Entwicklung des Landes. Und sie glauben nicht, dass alles so bleiben muss, wie es immer war. Letztlich ist das der Grund, warum die Bundeswehr in diesem Land ist und wohl noch lange bleiben muss: Damit nicht wieder eine junge afghanische Generation um die eigene Zukunft betrogen wird. Das ist immer noch das beste Konzept auch für unsere Sicherheit.

Quelle: Welt

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