30. September 2009
16. September 2009
Die gefährlichste Stunde der deutschen Soldaten
Von Clemens Wergin 15. September 2009
Die Soldaten des Fallschirmjägerbatallions 261 sind empört. Die dritte Kompanie ist angetreten zur Aussprache mit Generalinspekteur Schneiderhan und drei mitgereisten Journalisten. Auf die Frage, was sie von der deutschen Debatte über den Luftangriff auf zwei Tanklastwagen halten, bei dem Dutzende Menschen ums Leben kamen, sprudelt es aus ihnen heraus: „Mir ist vollständig unverständlich, wie sich Politiker schon wenige Stunden nach dem Vorfall und ohne genau Kenntnis der Fakten zu Wort melden können“, sagt ein Zugführer.
Bei den Männern hier in Kundus herrscht der Eindruck, da wollten einige im Wahlkampf schnell punkten – auf dem Rücken der Soldaten. Auch die Medien bekommen eine geballte Ladung Kritik ab: Hinterher lasse sich immer leicht behaupten, dass eine Entscheidung falsch gewesen sei. Letztlich, sagt Kompaniechef Krüger, wisse allein der Oberst, wie die Lage sich darstellte, die am Ende zu seinem Entschluss führte, die Angriffe anzufordern. Seine Leute jedenfalls stünden voll hinter der Entscheidung des Kommandeurs, angesichts all dessen, was zuvor geschehen sei.
Die Fallschirmjäger-Kompanie ist zum zweiten Mal in Kundus. Deshalb wissen die Soldaten am besten, wie sehr sich die Sicherheitslage dort verändert hat. Die Männer und Frauen sind viel in der von Taliban destabilisierten Region Chahar Darreh westlich von Kundus unterwegs. „Dort ist die Gefährdung im Vergleich zum letzten Jahr um 100 Prozent gestiegen“, sagt Stabsfeldwebel Heiko W. „Selbst als Soldaten können wir uns dort nicht mehr frei bewegen, wir müssen ständig mit dem Schlimmsten rechnen.“
Inzwischen zeigten sich die Aufständischen dort selbst am Tag bewaffnet inmitten der Zivilbevölkerung. Die sei zwar den Bundeswehrsoldaten gegenüber immer noch positiv eingestellt. Doch nun müssten die Familien damit rechnen, nachts von den Taliban bedroht zu werden, wenn sie sich am Tag allzu bereitwillig auf Gespräche mit den Deutschen eingelassen haben. Solche „Gesprächsaufklärung“ sei deshalb viel schwieriger geworden. Die 3. Kompanie fährt nur noch mit schwer gepanzerten Wagen in die Dörfer. „Wir müssen spätestens auf dem Rückweg damit rechnen, beschossen zu werden“, sagt Heiko W.
Seit dem 10. Juli ist die Fallschirmjäger-Kompanie wieder in Kundus. In dieser Zeit hatte sie 14 Mal Feindkontakt, davon zwei schwere Gefechte, die über Stunden andauerten. Manche Soldaten sitzen mit verbundenen Armen und Händen am Besprechungstisch, als sie dem Generalinspekteur von ihren Erlebnissen erzählen. Am 5. September, am Tag nach dem umstrittenen Luftangriff auf jene Furt im Kundus-Fluss, kamen sie gerade von einem Einsatz in Talokan, östlich von Kundus. Neben der Straße fuhr ein Auto heran und plötzlich explodierte es. Es war ein Selbstmordattentäter.
„Ich sah einen roten Blitz unter dem Auto, die Tür pellte sich auf“, erzählt ein Oberfeldwebel, der in dem am stärksten von der Detonation getroffenen Dingo saß. So ein Radpanzer wiegt mehr als acht Tonnen und die Wucht der Explosion schleuderte ihn einmal aufs Dach und dann wieder auf die Räder, bevor er einen Abhang hinunterstürzte. Fünf Soldaten und ein Übersetzer wurden verletzt. Eine Soldatin erlitt so schwere Verbrennungen, dass sie nach Deutschland ausgeflogen werden musste. Diese Soldaten halten jeden Tag ihren Kopf für Deutschland hin. Deshalb finden sie es unbegreiflich, dass sich ihr Oberkommandierender Georg Klein nun auch noch vor Gericht verantworten muss.
„Soldaten müssen in kürzester Zeit über Leben und Tod entscheiden – über ihr eigens Leben, das des Gegners und von Zivilisten“, sagt der Chef der Fallschirmjäger-Kompanie. „Da brauchen die Männer dort draußen einen klaren Kopf.“ Sein Spieß Heiko W. pflichtet bei: „Man hat sonst ständig im Hinterkopf: Was passiert denn, wenn ich eine Fehlentscheidung treffe.“ Solche Entscheidungen würden meist in Sekunden oder gar Millisekunden gefällt.
Eben dieses Problem spricht Schneiderhan am Tag darauf in Kabul an, als er Stanley McChrystal trifft, den Oberbefehlshaber der Isaf: Schränkt dessen neue Einsatzregel, wenn sie rigoros gehandhabt wird, nicht den Handlungsspielraum der Soldaten zu stark ein? Eröffnen sich so den Taliban nichtgefährliche Aktionsräume?
Die Männer der Kompanie kennen die Furt sehr gut, an der die Lastwagen strandeten. „Da bewegt sich nachts normalerweise keiner, die sind alle in ihren Gehöften“, sagt ein Zugführer. Gänzlich unverständlich ist für ihn, dass einige Opfer des Luftangriffs schon allein deshalb als Zivilisten bezeichnet werden, weil manche keine Waffen trugen. „Aufständische stehen nicht immer unter Waffen“, sagt er. „Manchmal sind es harmlos aussehende Bauerngruppen. Die haben dann im nächsten Moment plötzlich RPGs [also Panzerfäuste; die Redaktion] und Gewehre in der Hand.“ Der häufigste „Trick“ der Taliban sei es derzeit, sich als Zivilist auszugeben.
Oberst Klein tut der Zuspruch seiner Männer sichtlich gut. Einen „durchgeknallten Obristen“ hat Theaterregisseur Claus Peymann ihn in der Fernsehsendung von Anne Will genannt. Dabei ist Klein das Gegenteil eines Afghanistan-Rambos. Er ist eher vom Typ des peniblen Beamten als ein Berserker. Vergleichsweise schmal von Statur, ist er mit filigraner, unten randloser Brille auf der Nase. Klein hat Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehr-Universität in Hamburg studiert und man merkt ihm an, dass er zu den Menschen gehört, die lieber länger nachdenken als aus dem Bauch heraus zu entscheiden.
Am Dienstag traf die Untersuchungskommission der Isaf in Kundus ein, am Montag schon der höchste Militär der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan. Klein steht das alles mit aufrechter Haltung durch. Allenfalls an einem verletzlichen Zug um die Lippen und dem zuweilen geröteten Gesicht lässt sich ablesen, wie sehr die ganze Sache ihn mitnimmt. Ihm sei dieser ganze „Personenkult“ jedenfalls zuwider, erzählt man sich im Lager.
In jenen zwei Tagen in Kundus hört man immer wieder, dass Klein den „beschissensten Job“ habe, den es bei der Bundeswehr derzeit gebe. Ständig stehen seine Männer unter Beschuss, ständig muss der Oberst Entscheidungen treffen, die das Leben seiner Männer und das von unbeteiligten Zivilisten retten oder gefährden können. Der Chef der 3. Kompanie drückt das vor Journalisten etwas feiner aus: „Der PRT-Posten in Kundus ist mit der Schwierigste, den die Bundeswehr hat“, sagt er. „Das muss anerkannt werden.“
Im Pressebüro von Oberstleutnant Carsten Spiering hängt ein Kalenderblatt des Jahres 2009. Mit rosa Marker sind hier die wichtigsten Feindberührungen eingetragen. Seit April verdichtet sich die rosa Farbe auffällig: Beschuss, Gefechte, Hinterhalte und Bombenanschläge. Dieses sich verdichtende Rosa bildet den Hintergrund, vor dem Klein in der Nacht zum 4. September jene Entscheidung traf, die beiden entführten Tanker im Fluss bombardieren zu lassen.
„Ich musste jederzeit damit rechnen, dass die wieder rollen“, sagt Klein. Und das wäre gefährlich gewesen. Seit geraumer Zeit lagen in Kundus Meldungen vor, wonach die Taliban Tanklastzüge stehlen wollten, um sie dann als fahrbare Bomben für Anschläge zu benutzen. Mitte August hatten die Islamisten schon einmal Tanklastzüge erbeutet. Ende August gab es in Kandahar tatsächlich solch einen Angriff. Dazu kamen Informationen, wonach ein konkreter Anschlag mit zwei Fahrzeugen gegen das Bundeswehrlager in Planung gewesen sei. Für den Oberst passten die gestohlenen Fahrzeuge also in das Bild einer sich verschärfenden Bedrohungslage.
In jener Nacht sind Kleins Alternativen begrenzt. Die „Quick Reaction Force“, die stets einsatzbereite Kampftruppe der Bundeswehr, ist in schwere Gefechte im Rahmen der Nato-Operation „Arragon“ weitab im Raum Archi verwickelt. Die anderen beiden Kompanien des Bundeswehrstandortes Kundus sind durch Routine-Aufgaben gebunden. Und es wäre sehr gefährlich, Bodentruppen in jene Gegend zu schicken, aus der zuvor massive Taliban-Konzentrationen gemeldet wurden. Das Gelände sei so „kanalisiert“, dass dort nur zwei Wege zur Furt führen, sagt Klein: Eine Route im Norden sei mit improvisierten Straßenbomben bestückt. Die zweite Straße führe durch eine Ortschaft. Dort besteht das Risiko, inmitten von Zivilisten in Kämpfe verwickelt zu werden.
Klein entscheidet sich also für Luftunterstützung.
Ein Bombenabwurf habe keinesfalls sofort festgestanden. Das sei auch der Grund, warum der B1-B-Bomber von einer F15 abgelöst worden sei – um über einen längeren Zeitraum Videobilder zu bekommen. Klein ist in jener Nacht im ständigen Kontakt mit den Piloten. Am Ende lässt er die Bomben einsetzen. „Ich habe diese Entscheidung allein getroffen“ sagt Klein, „weil ich eine Bedrohung für meine Leute, für die afghanischen Sicherheitskräfte und die afghanische Bevölkerung sah.“
Am nächsten Morgen sei ihm klar geworden, dass dieser Angriff für Aufruhr sorgen würde. „Ich musste in den vergangenen fünfeinhalb Monaten viele schwere Entscheidungen treffen“, sagt Klein heute. Diese eine jedoch hat in Deutschland eine bisher beispiellose Debatte ausgelöst.
Es ist die Aufgabe von Generalinspekteur Schneiderhan, beide Seiten zusammenzubringen. Jene Kluft schließen zu helfen, die sich aufgetan hat zwischen der politischen Klasse in Berlin, einer aufgeregten Öffentlichkeit in Deutschland und den Soldaten in Kundus, die empört sind über die Kritik an ihrem Oberst. Einheimische erzählen Schneiderhan, was auch viele Soldaten berichten: Die Afghanen in Kundus seien froh, dass die Bundeswehr nun endlich robuster vorgehe. Die Deutschen hätten viel Zeit verloren. Nun müssten sie „den Raum aggressiver besetzen“. Über die Hysterie in Deutschland könnten die Menschen hier nur den Kopf schütteln. Nun habe man deshalb Angst, dass die Bundeswehr vielleicht ihr Engagement zurückfahren oder gar beenden könnte.
Schneiderhan weiß, dass solch eine Sicht in Berlin schwer zu vermitteln ist. Andererseits hat der Vorfall auch dazu geführt, dass in Deutschland eine Diskussion entbrannte, die zum ersten Mal die harten Realitäten in Kundus zur Kenntnis nimmt. Deshalb sagt auch Klein: „Es ist wichtig, dass man das alles diskutiert und untersucht – auch für uns Soldaten“. Um Klarheit zu schaffen.
Am Montagabend steht die Sonne schon tief über dem Feldlager der Bundeswehr in Kundus. Jenseits von Mauer, Nato-Draht und des Sicherheitstreifens um das Lager treibt ein junger afghanischer Hirte seine Ziegen mit einer langen Rute zusammen und die Muezzine von Kundus rufen zum Abendgebet. Dann plötzlich ein Knall und ein kurzes Fauchen. Die Deutschen haben eine Drohne in den blau-rötlichen Himmel geschossen, die weitab vom Lager nach Taliban suchen soll. „Die halbe Stunde bis Stunde während der Abenddämmerung bereitet uns am meisten Probleme“, sagt einer der Soldaten, der die Drohne bedient. Es ist die Zeit, zu der die Taliban am liebsten operieren. Weil die Sehkraft der Augen schon nachlässt, es aber noch nicht so dunkel ist, dass die Deutschen die überlegene Technik ihrer Nachtsichtgeräte ausspielen könnten.
Am Tag darauf platzt dann mitten in ein Treffen mit Generalinspekteur Schneiderhan die Meldung, ein Zug mit etwa 25 Soldaten sei nahe Talokan Opfer eines Bombenanschlages geworden. Zum Glück gab es keine Verletzte, ein Dingo muss aber geborgen werden. Trotz Untersuchungskommission geht für Oberst Klein und seine Soldaten weiter, was in den letzten Wochen und Monaten gefährliche Normalität in Kundus ist.
Die Soldaten des Fallschirmjägerbatallions 261 sind empört. Die dritte Kompanie ist angetreten zur Aussprache mit Generalinspekteur Schneiderhan und drei mitgereisten Journalisten. Auf die Frage, was sie von der deutschen Debatte über den Luftangriff auf zwei Tanklastwagen halten, bei dem Dutzende Menschen ums Leben kamen, sprudelt es aus ihnen heraus: „Mir ist vollständig unverständlich, wie sich Politiker schon wenige Stunden nach dem Vorfall und ohne genau Kenntnis der Fakten zu Wort melden können“, sagt ein Zugführer.
Bei den Männern hier in Kundus herrscht der Eindruck, da wollten einige im Wahlkampf schnell punkten – auf dem Rücken der Soldaten. Auch die Medien bekommen eine geballte Ladung Kritik ab: Hinterher lasse sich immer leicht behaupten, dass eine Entscheidung falsch gewesen sei. Letztlich, sagt Kompaniechef Krüger, wisse allein der Oberst, wie die Lage sich darstellte, die am Ende zu seinem Entschluss führte, die Angriffe anzufordern. Seine Leute jedenfalls stünden voll hinter der Entscheidung des Kommandeurs, angesichts all dessen, was zuvor geschehen sei.
Die Fallschirmjäger-Kompanie ist zum zweiten Mal in Kundus. Deshalb wissen die Soldaten am besten, wie sehr sich die Sicherheitslage dort verändert hat. Die Männer und Frauen sind viel in der von Taliban destabilisierten Region Chahar Darreh westlich von Kundus unterwegs. „Dort ist die Gefährdung im Vergleich zum letzten Jahr um 100 Prozent gestiegen“, sagt Stabsfeldwebel Heiko W. „Selbst als Soldaten können wir uns dort nicht mehr frei bewegen, wir müssen ständig mit dem Schlimmsten rechnen.“
Inzwischen zeigten sich die Aufständischen dort selbst am Tag bewaffnet inmitten der Zivilbevölkerung. Die sei zwar den Bundeswehrsoldaten gegenüber immer noch positiv eingestellt. Doch nun müssten die Familien damit rechnen, nachts von den Taliban bedroht zu werden, wenn sie sich am Tag allzu bereitwillig auf Gespräche mit den Deutschen eingelassen haben. Solche „Gesprächsaufklärung“ sei deshalb viel schwieriger geworden. Die 3. Kompanie fährt nur noch mit schwer gepanzerten Wagen in die Dörfer. „Wir müssen spätestens auf dem Rückweg damit rechnen, beschossen zu werden“, sagt Heiko W.
Seit dem 10. Juli ist die Fallschirmjäger-Kompanie wieder in Kundus. In dieser Zeit hatte sie 14 Mal Feindkontakt, davon zwei schwere Gefechte, die über Stunden andauerten. Manche Soldaten sitzen mit verbundenen Armen und Händen am Besprechungstisch, als sie dem Generalinspekteur von ihren Erlebnissen erzählen. Am 5. September, am Tag nach dem umstrittenen Luftangriff auf jene Furt im Kundus-Fluss, kamen sie gerade von einem Einsatz in Talokan, östlich von Kundus. Neben der Straße fuhr ein Auto heran und plötzlich explodierte es. Es war ein Selbstmordattentäter.
„Ich sah einen roten Blitz unter dem Auto, die Tür pellte sich auf“, erzählt ein Oberfeldwebel, der in dem am stärksten von der Detonation getroffenen Dingo saß. So ein Radpanzer wiegt mehr als acht Tonnen und die Wucht der Explosion schleuderte ihn einmal aufs Dach und dann wieder auf die Räder, bevor er einen Abhang hinunterstürzte. Fünf Soldaten und ein Übersetzer wurden verletzt. Eine Soldatin erlitt so schwere Verbrennungen, dass sie nach Deutschland ausgeflogen werden musste. Diese Soldaten halten jeden Tag ihren Kopf für Deutschland hin. Deshalb finden sie es unbegreiflich, dass sich ihr Oberkommandierender Georg Klein nun auch noch vor Gericht verantworten muss.
„Soldaten müssen in kürzester Zeit über Leben und Tod entscheiden – über ihr eigens Leben, das des Gegners und von Zivilisten“, sagt der Chef der Fallschirmjäger-Kompanie. „Da brauchen die Männer dort draußen einen klaren Kopf.“ Sein Spieß Heiko W. pflichtet bei: „Man hat sonst ständig im Hinterkopf: Was passiert denn, wenn ich eine Fehlentscheidung treffe.“ Solche Entscheidungen würden meist in Sekunden oder gar Millisekunden gefällt.
Eben dieses Problem spricht Schneiderhan am Tag darauf in Kabul an, als er Stanley McChrystal trifft, den Oberbefehlshaber der Isaf: Schränkt dessen neue Einsatzregel, wenn sie rigoros gehandhabt wird, nicht den Handlungsspielraum der Soldaten zu stark ein? Eröffnen sich so den Taliban nichtgefährliche Aktionsräume?
Die Männer der Kompanie kennen die Furt sehr gut, an der die Lastwagen strandeten. „Da bewegt sich nachts normalerweise keiner, die sind alle in ihren Gehöften“, sagt ein Zugführer. Gänzlich unverständlich ist für ihn, dass einige Opfer des Luftangriffs schon allein deshalb als Zivilisten bezeichnet werden, weil manche keine Waffen trugen. „Aufständische stehen nicht immer unter Waffen“, sagt er. „Manchmal sind es harmlos aussehende Bauerngruppen. Die haben dann im nächsten Moment plötzlich RPGs [also Panzerfäuste; die Redaktion] und Gewehre in der Hand.“ Der häufigste „Trick“ der Taliban sei es derzeit, sich als Zivilist auszugeben.
Oberst Klein tut der Zuspruch seiner Männer sichtlich gut. Einen „durchgeknallten Obristen“ hat Theaterregisseur Claus Peymann ihn in der Fernsehsendung von Anne Will genannt. Dabei ist Klein das Gegenteil eines Afghanistan-Rambos. Er ist eher vom Typ des peniblen Beamten als ein Berserker. Vergleichsweise schmal von Statur, ist er mit filigraner, unten randloser Brille auf der Nase. Klein hat Wirtschafts- und Organisationswissenschaften an der Bundeswehr-Universität in Hamburg studiert und man merkt ihm an, dass er zu den Menschen gehört, die lieber länger nachdenken als aus dem Bauch heraus zu entscheiden.
Am Dienstag traf die Untersuchungskommission der Isaf in Kundus ein, am Montag schon der höchste Militär der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan. Klein steht das alles mit aufrechter Haltung durch. Allenfalls an einem verletzlichen Zug um die Lippen und dem zuweilen geröteten Gesicht lässt sich ablesen, wie sehr die ganze Sache ihn mitnimmt. Ihm sei dieser ganze „Personenkult“ jedenfalls zuwider, erzählt man sich im Lager.
In jenen zwei Tagen in Kundus hört man immer wieder, dass Klein den „beschissensten Job“ habe, den es bei der Bundeswehr derzeit gebe. Ständig stehen seine Männer unter Beschuss, ständig muss der Oberst Entscheidungen treffen, die das Leben seiner Männer und das von unbeteiligten Zivilisten retten oder gefährden können. Der Chef der 3. Kompanie drückt das vor Journalisten etwas feiner aus: „Der PRT-Posten in Kundus ist mit der Schwierigste, den die Bundeswehr hat“, sagt er. „Das muss anerkannt werden.“
Im Pressebüro von Oberstleutnant Carsten Spiering hängt ein Kalenderblatt des Jahres 2009. Mit rosa Marker sind hier die wichtigsten Feindberührungen eingetragen. Seit April verdichtet sich die rosa Farbe auffällig: Beschuss, Gefechte, Hinterhalte und Bombenanschläge. Dieses sich verdichtende Rosa bildet den Hintergrund, vor dem Klein in der Nacht zum 4. September jene Entscheidung traf, die beiden entführten Tanker im Fluss bombardieren zu lassen.
„Ich musste jederzeit damit rechnen, dass die wieder rollen“, sagt Klein. Und das wäre gefährlich gewesen. Seit geraumer Zeit lagen in Kundus Meldungen vor, wonach die Taliban Tanklastzüge stehlen wollten, um sie dann als fahrbare Bomben für Anschläge zu benutzen. Mitte August hatten die Islamisten schon einmal Tanklastzüge erbeutet. Ende August gab es in Kandahar tatsächlich solch einen Angriff. Dazu kamen Informationen, wonach ein konkreter Anschlag mit zwei Fahrzeugen gegen das Bundeswehrlager in Planung gewesen sei. Für den Oberst passten die gestohlenen Fahrzeuge also in das Bild einer sich verschärfenden Bedrohungslage.
In jener Nacht sind Kleins Alternativen begrenzt. Die „Quick Reaction Force“, die stets einsatzbereite Kampftruppe der Bundeswehr, ist in schwere Gefechte im Rahmen der Nato-Operation „Arragon“ weitab im Raum Archi verwickelt. Die anderen beiden Kompanien des Bundeswehrstandortes Kundus sind durch Routine-Aufgaben gebunden. Und es wäre sehr gefährlich, Bodentruppen in jene Gegend zu schicken, aus der zuvor massive Taliban-Konzentrationen gemeldet wurden. Das Gelände sei so „kanalisiert“, dass dort nur zwei Wege zur Furt führen, sagt Klein: Eine Route im Norden sei mit improvisierten Straßenbomben bestückt. Die zweite Straße führe durch eine Ortschaft. Dort besteht das Risiko, inmitten von Zivilisten in Kämpfe verwickelt zu werden.
Klein entscheidet sich also für Luftunterstützung.
Ein Bombenabwurf habe keinesfalls sofort festgestanden. Das sei auch der Grund, warum der B1-B-Bomber von einer F15 abgelöst worden sei – um über einen längeren Zeitraum Videobilder zu bekommen. Klein ist in jener Nacht im ständigen Kontakt mit den Piloten. Am Ende lässt er die Bomben einsetzen. „Ich habe diese Entscheidung allein getroffen“ sagt Klein, „weil ich eine Bedrohung für meine Leute, für die afghanischen Sicherheitskräfte und die afghanische Bevölkerung sah.“
Am nächsten Morgen sei ihm klar geworden, dass dieser Angriff für Aufruhr sorgen würde. „Ich musste in den vergangenen fünfeinhalb Monaten viele schwere Entscheidungen treffen“, sagt Klein heute. Diese eine jedoch hat in Deutschland eine bisher beispiellose Debatte ausgelöst.
Es ist die Aufgabe von Generalinspekteur Schneiderhan, beide Seiten zusammenzubringen. Jene Kluft schließen zu helfen, die sich aufgetan hat zwischen der politischen Klasse in Berlin, einer aufgeregten Öffentlichkeit in Deutschland und den Soldaten in Kundus, die empört sind über die Kritik an ihrem Oberst. Einheimische erzählen Schneiderhan, was auch viele Soldaten berichten: Die Afghanen in Kundus seien froh, dass die Bundeswehr nun endlich robuster vorgehe. Die Deutschen hätten viel Zeit verloren. Nun müssten sie „den Raum aggressiver besetzen“. Über die Hysterie in Deutschland könnten die Menschen hier nur den Kopf schütteln. Nun habe man deshalb Angst, dass die Bundeswehr vielleicht ihr Engagement zurückfahren oder gar beenden könnte.
Schneiderhan weiß, dass solch eine Sicht in Berlin schwer zu vermitteln ist. Andererseits hat der Vorfall auch dazu geführt, dass in Deutschland eine Diskussion entbrannte, die zum ersten Mal die harten Realitäten in Kundus zur Kenntnis nimmt. Deshalb sagt auch Klein: „Es ist wichtig, dass man das alles diskutiert und untersucht – auch für uns Soldaten“. Um Klarheit zu schaffen.
Am Montagabend steht die Sonne schon tief über dem Feldlager der Bundeswehr in Kundus. Jenseits von Mauer, Nato-Draht und des Sicherheitstreifens um das Lager treibt ein junger afghanischer Hirte seine Ziegen mit einer langen Rute zusammen und die Muezzine von Kundus rufen zum Abendgebet. Dann plötzlich ein Knall und ein kurzes Fauchen. Die Deutschen haben eine Drohne in den blau-rötlichen Himmel geschossen, die weitab vom Lager nach Taliban suchen soll. „Die halbe Stunde bis Stunde während der Abenddämmerung bereitet uns am meisten Probleme“, sagt einer der Soldaten, der die Drohne bedient. Es ist die Zeit, zu der die Taliban am liebsten operieren. Weil die Sehkraft der Augen schon nachlässt, es aber noch nicht so dunkel ist, dass die Deutschen die überlegene Technik ihrer Nachtsichtgeräte ausspielen könnten.
Am Tag darauf platzt dann mitten in ein Treffen mit Generalinspekteur Schneiderhan die Meldung, ein Zug mit etwa 25 Soldaten sei nahe Talokan Opfer eines Bombenanschlages geworden. Zum Glück gab es keine Verletzte, ein Dingo muss aber geborgen werden. Trotz Untersuchungskommission geht für Oberst Klein und seine Soldaten weiter, was in den letzten Wochen und Monaten gefährliche Normalität in Kundus ist.
15. September 2009
Skandal im Sperrbezirk
von Lisas Welt
Im Januar stürmte die Polizei die Wohnung eines 25jährigen Studenten und seiner Freundin in Duisburg und entfernte unter dem Gejohle von mehreren tausend israelfeindlichen Demonstranten zwei am Balkon und an einem Fenster befestigte Israelflaggen. Vor wenigen Tagen wurde eine 30jährige Studentin in Bochum zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie durch das Zeigen einer israelischen Flagge die Teilnehmer einer antiisraelischen Demonstration „provoziert“, eine „gefährliche Situation“ geschaffen und gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben soll. Nun gibt es einen neuerlichen Tiefpunkt: Am vergangenen Samstag verbot die Polizei den Teilnehmern einer Kundgebung gegen den „Al-Quds“-Aufmarsch von Islamisten und Neonazis unter anderem das Zeigen einer Flagge mit einem hebräischen Schriftzug sowie das Abspielen israelischer Musik – „um die Eskalationsgefahr einzudämmen“, wie ein Polizeisprecher sagte.
Islamistische Organisationen mobilisieren seit 1979 jedes Jahr zum Ende des Fastenmonats Ramadan weltweit zu „Al-Quds“-Aktivitäten. Dabei beziehen sie sich auf einen Aufruf des damaligen iranischen „Revolutionsführers“ Ayatollah Khomeini, der seine Anhänger zur „Befreiung“ Jerusalems und zur Vernichtung Israels aufgefordert hatte. In Berlin kommt es seit 1996 zu „Al-Quds“-Demonstrationen, auf denen unverhohlen die „Zerstörung des zionistischen Staates“ gefordert wird und antisemitische Slogans skandiert werden. Zur diesjährigen Manifestation in der deutschen Hauptstadt hatte neben verschiedenen islamistischen Vereinigungen auch die neonazistische „Deutsche Volksunion“ (DVU) aufgerufen. Die überwiegend muslimischen Teilnehmer riefen Parolen wie „Tod Israel“ und „Kindermörder Israel“ und zeigten Fahnen der antisemitischen Hizbollah sowie Porträts des Hizbollah-Führers Hassan Nasrallah.
Seit einigen Jahren werden Bündnisse jüdischer und nichtjüdischer Organisationen gegen diese antisemitischen Aufzüge am „Al-Quds-Tag“ aktiv. Diesmal waren sie jedoch massiven Einschränkungen ausgesetzt: Ihre Kundgebung fand in einem mit Gittern abgesperrten Areal statt, das Arvid Vormann auf dem Internetportal Free Iran Now! als „eine Art Kaninchenstall“ beschrieb. Die Teilnehmer seien zudem peniblen und teilweise rabiaten Kontrollen ihrer Taschen und Rucksäcke ausgesetzt gewesen. Und damit nicht genug: Verschiedenen Berichten zufolge verweigerte die Polizei einem Teilnehmer, eine Jerusalem-Fahne zu zeigen, auf die der Name der israelischen Hauptstadt in hebräischen Buchstaben aufgestickt war. Zudem durften keine Lieder mit hebräischen und englischen Texten abgespielt werden; ihre vorbereitete CD mussten die Organisatoren der Kundgebung deshalb wieder einpacken. Darüber hinaus durfte ein Transparent des BAK Shalom, auf dem in englischer Sprache der Niedergang des iranischen Mullah-Regimes gefordert wurde, nicht verwendet werden. Und von einem Plakat, auf dem zur Freilassung des von der Hamas festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Shalit aufgerufen wurde, mussten auf Geheiß der Einsatzkräfte zwei englischsprachige Sätze entfernt werden.
Thomas Neuendorf, ein Sprecher der Berliner Polizei, bestätigte das Vorgehen der Beamten auf telefonische Anfrage von Lizas Welt. „In den vergangenen Jahren hat der ‚Al-Quds-Tag’ auf beiden Seiten zu einer verstärkten Emotionalisierung geführt“, sagte er. Man habe deshalb „die Eskalationsgefahr eindämmen“ wollen und sei sowohl mit den Verantwortlichen der „Al-Quds“-Demonstration als auch mit den Organisatoren der Gegenkundgebung in Kooperationsgesprächen „übereingekommen, dass es Reden, Transparente und Musik ausschließlich in deutscher Sprache geben darf“. Auf diese Weise habe man „auf beiden Seiten“ verhindern wollen, „dass strafbare Inhalte verbreitet werden, die wir nicht verstehen“. Lediglich zwei Ausnahmen seien zugelassen worden: Auf der „Al-Quds“-Demonstration habe ein Imam Koranverse rezitieren können, „wobei ein von uns gestellter Dolmetscher darauf geachtet hat, dass er nichts Verbotenes sagt“. Der Gegenkundgebung sei dafür genehmigt worden, die israelische Nationalhymne mit hebräischem Text abzuspielen. Zu den „Tod Israel“- und „Kindermörder Israel“-Rufen, den Hizbollah-Fahnen und Nasrallah-Porträts sagte Neuendorf: „Da sind uns die Hände gebunden: Die Parolen sind gerade noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, und die Hizbollah ist in Deutschland nun mal nicht verboten.“
Die Berliner Polizei stellt also einen israelfeindlichen, antisemitischen Aufmarsch auf die gleiche Stufe wie den demokratischen Protest dagegen; sie verbucht beides unter der schlichten Kategorie „verstärkte Emotionalisierung“ und unterstellt denjenigen, die sich gegen Israel- und Judenhass zur Wehr setzen, faktisch das gleiche Eskalationsbedürfnis, ja, den gleichen Fanatismus wie den Israel- und Judenhassern. Derlei befremdliche Äquidistanz ist hierzulande zwar nichts Ungewöhnliches; neu in der deutschen Nachkriegsgeschichte dürfte hingegen sein, dass gegenüber den Teilnehmern einer Kundgebung ein Hebräisch- und Englischverbot ausgesprochen wird. Dabei konnte Polizeisprecher Neuendorf auf Nachfrage keinerlei Beispiele für hebräische Parolen oder israelische Musikstücke nennen, durch die in der Vergangenheit zu Straftaten aufgerufen wurde. Auch konnte er nicht sagen, wann von einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Israel schon einmal Gewalt gegen Islamisten ausgegangen sein soll, wie sie umgekehrt schon häufiger zu beklagen war.
Dass die Verantwortlichen für die Gegenkundgebung das während der Vorbesprechung mit der Polizei angeblich verkündete Deutschgebot tatsächlich akzeptiert haben sollen, erscheint außerdem zumindest zweifelhaft. Auf telefonische Nachfrage von Lizas Welt widersprach der Anmelder und Leiter der Kundgebung, Jörg Fischer-Aharon vom Bildungswerk haKadima, dann auch entschieden: „Das Hebräisch- und Englischverbot wurde uns erst kurz vor dem Beginn der Veranstaltung mündlich mitgeteilt“, sagte er. Während des Kooperationsgesprächs vor rund drei Wochen habe die Polizei lediglich beiläufig gefragt, ob Redebeiträge in hebräischer Sprache geplant seien. „Das habe ich verneint, daraufhin war das Thema erledigt“, berichtete Fischer-Aharon. In einem Telefonat vor etwa eineinhalb Wochen habe er der Polizei dennoch vorsichtshalber angekündigt, dass während der Gegenkundgebung israelische und englische Musik gespielt werden soll – wie schon, gänzlich unbeanstandet, während einer pro-israelischen Demonstration in Berlin im Januar. „Das sei auch diesmal kein Problem, bekam ich zur Antwort; man werde aber für alle Fälle einen Dolmetscher vorbeischicken.“ Von den plötzlichen Auflagen sei man deshalb vollkommen überrumpelt worden. „Wären sie vorher schon festgelegt worden, hätten wir mit Sicherheit Rechtsmittel dagegen eingelegt. Aber ich habe bis heute nichts Schriftliches von der Polizei bekommen. Das öffnet der Willkür natürlich Tür und Tor.“
Fischer-Aharon ist immer noch empört über das Vorgehen der Ordnungshüter: „Das ist ein historischer Tag, aber ein trauriger: Die Berliner Polizei untersagt tatsächlich das Zeigen der Jerusalem-Fahne und das Abspielen jüdischer Musik.“ Die Einsatzleitung habe sogar damit gedroht, „die Lautsprecheranlage zu beschlagnahmen, sollte auch nur ein Lied in hebräischer Sprache abgespielt werden“. Den Islamisten gegenüber sei sie deutlich zurückhaltender gewesen: „Da durften nicht nur Parolen in arabischer Sprache gerufen werden, sondern es konnte sogar ein Demo-Ordner den Hitlergruß in unsere Richtung zeigen [Foto oben], ohne dass die in der Nähe stehenden Polizisten eingegriffen hätten.“ Eigenartig findet Fischer-Aharon auch die Festnahme einer Teilnehmerin der Gegenkundgebung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot: „Sie hatte eine Kapuze auf dem Kopf und trug eine Sonnenbrille. Das war wohl schon zu viel für die Polizei. Bei den Islamisten hingegen konnten Frauen in einer Burka mitlaufen, ohne dass das beanstandet worden wäre.“ Zudem sei mehreren Menschen ohne Angabe von Gründen die Teilnahme an der Gegenkundgebung verweigert worden, und Alexander Brenner, den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins, sowie den Rabbiner Ben Chorim habe die Polizei am Verlassen der Veranstaltung gehindert. „Offensichtlich“, so Fischer-Aharon, „dienten die Gitter nicht der Absperrung, sondern dem Einsperren der Kundgebungsteilnehmer“.
Mag die Bundeskanzlerin auch betonen, die Solidarität mit Israel sei ein „Teil der deutschen Staatsräson“, mag der Bundestag eigens eine Antisemitismuskommission beschäftigen, und mögen Politiker aller Parteien beteuern, ihnen sei der Kampf gegen den Judenhass eine Herzensangelegenheit: Das alles ist nichts als Wortgeklimper, wenn die Feinde der Juden im Allgemeinen und des jüdischen Staates im Besonderen freie Fahrt bekommen, aktive Gegner des Israel- und Judenhasses jedoch mit polizeilichen und juristischen Mitteln drangsaliert werden. 64 Jahre nach Auschwitz sorgen im Nachfolgestaat des „Dritten Reiches“ die Erben der Firmen Himmler und Freisler dafür, dass sich nur ja kein Antisemit von jüdischen Symbolen, hebräischen Schriftzeichen und israelischen Liedern provoziert fühlen muss, während antisemitische Aufmärsche trotz unmissverständlicher Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel und eindeutig judenfeindlicher Sprechchöre unbeanstandet bleiben, wenn sie in den Medien nicht gar als „Friedensdemonstrationen“ gehandelt werden, wie Anfang dieses Jahres geschehen. Doch all dies taugt in Deutschland nicht zum Skandal. Denn der größte Skandal ist, dass es keinen gibt, weil derlei außer den üblichen Verdächtigen niemanden aufregt.
Im Januar stürmte die Polizei die Wohnung eines 25jährigen Studenten und seiner Freundin in Duisburg und entfernte unter dem Gejohle von mehreren tausend israelfeindlichen Demonstranten zwei am Balkon und an einem Fenster befestigte Israelflaggen. Vor wenigen Tagen wurde eine 30jährige Studentin in Bochum zu einer Geldstrafe verurteilt, weil sie durch das Zeigen einer israelischen Flagge die Teilnehmer einer antiisraelischen Demonstration „provoziert“, eine „gefährliche Situation“ geschaffen und gegen das Versammlungsgesetz verstoßen haben soll. Nun gibt es einen neuerlichen Tiefpunkt: Am vergangenen Samstag verbot die Polizei den Teilnehmern einer Kundgebung gegen den „Al-Quds“-Aufmarsch von Islamisten und Neonazis unter anderem das Zeigen einer Flagge mit einem hebräischen Schriftzug sowie das Abspielen israelischer Musik – „um die Eskalationsgefahr einzudämmen“, wie ein Polizeisprecher sagte.
Islamistische Organisationen mobilisieren seit 1979 jedes Jahr zum Ende des Fastenmonats Ramadan weltweit zu „Al-Quds“-Aktivitäten. Dabei beziehen sie sich auf einen Aufruf des damaligen iranischen „Revolutionsführers“ Ayatollah Khomeini, der seine Anhänger zur „Befreiung“ Jerusalems und zur Vernichtung Israels aufgefordert hatte. In Berlin kommt es seit 1996 zu „Al-Quds“-Demonstrationen, auf denen unverhohlen die „Zerstörung des zionistischen Staates“ gefordert wird und antisemitische Slogans skandiert werden. Zur diesjährigen Manifestation in der deutschen Hauptstadt hatte neben verschiedenen islamistischen Vereinigungen auch die neonazistische „Deutsche Volksunion“ (DVU) aufgerufen. Die überwiegend muslimischen Teilnehmer riefen Parolen wie „Tod Israel“ und „Kindermörder Israel“ und zeigten Fahnen der antisemitischen Hizbollah sowie Porträts des Hizbollah-Führers Hassan Nasrallah.
Seit einigen Jahren werden Bündnisse jüdischer und nichtjüdischer Organisationen gegen diese antisemitischen Aufzüge am „Al-Quds-Tag“ aktiv. Diesmal waren sie jedoch massiven Einschränkungen ausgesetzt: Ihre Kundgebung fand in einem mit Gittern abgesperrten Areal statt, das Arvid Vormann auf dem Internetportal Free Iran Now! als „eine Art Kaninchenstall“ beschrieb. Die Teilnehmer seien zudem peniblen und teilweise rabiaten Kontrollen ihrer Taschen und Rucksäcke ausgesetzt gewesen. Und damit nicht genug: Verschiedenen Berichten zufolge verweigerte die Polizei einem Teilnehmer, eine Jerusalem-Fahne zu zeigen, auf die der Name der israelischen Hauptstadt in hebräischen Buchstaben aufgestickt war. Zudem durften keine Lieder mit hebräischen und englischen Texten abgespielt werden; ihre vorbereitete CD mussten die Organisatoren der Kundgebung deshalb wieder einpacken. Darüber hinaus durfte ein Transparent des BAK Shalom, auf dem in englischer Sprache der Niedergang des iranischen Mullah-Regimes gefordert wurde, nicht verwendet werden. Und von einem Plakat, auf dem zur Freilassung des von der Hamas festgehaltenen israelischen Soldaten Gilad Shalit aufgerufen wurde, mussten auf Geheiß der Einsatzkräfte zwei englischsprachige Sätze entfernt werden.
Thomas Neuendorf, ein Sprecher der Berliner Polizei, bestätigte das Vorgehen der Beamten auf telefonische Anfrage von Lizas Welt. „In den vergangenen Jahren hat der ‚Al-Quds-Tag’ auf beiden Seiten zu einer verstärkten Emotionalisierung geführt“, sagte er. Man habe deshalb „die Eskalationsgefahr eindämmen“ wollen und sei sowohl mit den Verantwortlichen der „Al-Quds“-Demonstration als auch mit den Organisatoren der Gegenkundgebung in Kooperationsgesprächen „übereingekommen, dass es Reden, Transparente und Musik ausschließlich in deutscher Sprache geben darf“. Auf diese Weise habe man „auf beiden Seiten“ verhindern wollen, „dass strafbare Inhalte verbreitet werden, die wir nicht verstehen“. Lediglich zwei Ausnahmen seien zugelassen worden: Auf der „Al-Quds“-Demonstration habe ein Imam Koranverse rezitieren können, „wobei ein von uns gestellter Dolmetscher darauf geachtet hat, dass er nichts Verbotenes sagt“. Der Gegenkundgebung sei dafür genehmigt worden, die israelische Nationalhymne mit hebräischem Text abzuspielen. Zu den „Tod Israel“- und „Kindermörder Israel“-Rufen, den Hizbollah-Fahnen und Nasrallah-Porträts sagte Neuendorf: „Da sind uns die Hände gebunden: Die Parolen sind gerade noch vom Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt, und die Hizbollah ist in Deutschland nun mal nicht verboten.“
Die Berliner Polizei stellt also einen israelfeindlichen, antisemitischen Aufmarsch auf die gleiche Stufe wie den demokratischen Protest dagegen; sie verbucht beides unter der schlichten Kategorie „verstärkte Emotionalisierung“ und unterstellt denjenigen, die sich gegen Israel- und Judenhass zur Wehr setzen, faktisch das gleiche Eskalationsbedürfnis, ja, den gleichen Fanatismus wie den Israel- und Judenhassern. Derlei befremdliche Äquidistanz ist hierzulande zwar nichts Ungewöhnliches; neu in der deutschen Nachkriegsgeschichte dürfte hingegen sein, dass gegenüber den Teilnehmern einer Kundgebung ein Hebräisch- und Englischverbot ausgesprochen wird. Dabei konnte Polizeisprecher Neuendorf auf Nachfrage keinerlei Beispiele für hebräische Parolen oder israelische Musikstücke nennen, durch die in der Vergangenheit zu Straftaten aufgerufen wurde. Auch konnte er nicht sagen, wann von einer Kundgebung gegen Antisemitismus und für Israel schon einmal Gewalt gegen Islamisten ausgegangen sein soll, wie sie umgekehrt schon häufiger zu beklagen war.
Dass die Verantwortlichen für die Gegenkundgebung das während der Vorbesprechung mit der Polizei angeblich verkündete Deutschgebot tatsächlich akzeptiert haben sollen, erscheint außerdem zumindest zweifelhaft. Auf telefonische Nachfrage von Lizas Welt widersprach der Anmelder und Leiter der Kundgebung, Jörg Fischer-Aharon vom Bildungswerk haKadima, dann auch entschieden: „Das Hebräisch- und Englischverbot wurde uns erst kurz vor dem Beginn der Veranstaltung mündlich mitgeteilt“, sagte er. Während des Kooperationsgesprächs vor rund drei Wochen habe die Polizei lediglich beiläufig gefragt, ob Redebeiträge in hebräischer Sprache geplant seien. „Das habe ich verneint, daraufhin war das Thema erledigt“, berichtete Fischer-Aharon. In einem Telefonat vor etwa eineinhalb Wochen habe er der Polizei dennoch vorsichtshalber angekündigt, dass während der Gegenkundgebung israelische und englische Musik gespielt werden soll – wie schon, gänzlich unbeanstandet, während einer pro-israelischen Demonstration in Berlin im Januar. „Das sei auch diesmal kein Problem, bekam ich zur Antwort; man werde aber für alle Fälle einen Dolmetscher vorbeischicken.“ Von den plötzlichen Auflagen sei man deshalb vollkommen überrumpelt worden. „Wären sie vorher schon festgelegt worden, hätten wir mit Sicherheit Rechtsmittel dagegen eingelegt. Aber ich habe bis heute nichts Schriftliches von der Polizei bekommen. Das öffnet der Willkür natürlich Tür und Tor.“
Fischer-Aharon ist immer noch empört über das Vorgehen der Ordnungshüter: „Das ist ein historischer Tag, aber ein trauriger: Die Berliner Polizei untersagt tatsächlich das Zeigen der Jerusalem-Fahne und das Abspielen jüdischer Musik.“ Die Einsatzleitung habe sogar damit gedroht, „die Lautsprecheranlage zu beschlagnahmen, sollte auch nur ein Lied in hebräischer Sprache abgespielt werden“. Den Islamisten gegenüber sei sie deutlich zurückhaltender gewesen: „Da durften nicht nur Parolen in arabischer Sprache gerufen werden, sondern es konnte sogar ein Demo-Ordner den Hitlergruß in unsere Richtung zeigen [Foto oben], ohne dass die in der Nähe stehenden Polizisten eingegriffen hätten.“ Eigenartig findet Fischer-Aharon auch die Festnahme einer Teilnehmerin der Gegenkundgebung wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Vermummungsverbot: „Sie hatte eine Kapuze auf dem Kopf und trug eine Sonnenbrille. Das war wohl schon zu viel für die Polizei. Bei den Islamisten hingegen konnten Frauen in einer Burka mitlaufen, ohne dass das beanstandet worden wäre.“ Zudem sei mehreren Menschen ohne Angabe von Gründen die Teilnahme an der Gegenkundgebung verweigert worden, und Alexander Brenner, den ehemaligen Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde Berlins, sowie den Rabbiner Ben Chorim habe die Polizei am Verlassen der Veranstaltung gehindert. „Offensichtlich“, so Fischer-Aharon, „dienten die Gitter nicht der Absperrung, sondern dem Einsperren der Kundgebungsteilnehmer“.
Mag die Bundeskanzlerin auch betonen, die Solidarität mit Israel sei ein „Teil der deutschen Staatsräson“, mag der Bundestag eigens eine Antisemitismuskommission beschäftigen, und mögen Politiker aller Parteien beteuern, ihnen sei der Kampf gegen den Judenhass eine Herzensangelegenheit: Das alles ist nichts als Wortgeklimper, wenn die Feinde der Juden im Allgemeinen und des jüdischen Staates im Besonderen freie Fahrt bekommen, aktive Gegner des Israel- und Judenhasses jedoch mit polizeilichen und juristischen Mitteln drangsaliert werden. 64 Jahre nach Auschwitz sorgen im Nachfolgestaat des „Dritten Reiches“ die Erben der Firmen Himmler und Freisler dafür, dass sich nur ja kein Antisemit von jüdischen Symbolen, hebräischen Schriftzeichen und israelischen Liedern provoziert fühlen muss, während antisemitische Aufmärsche trotz unmissverständlicher Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel und eindeutig judenfeindlicher Sprechchöre unbeanstandet bleiben, wenn sie in den Medien nicht gar als „Friedensdemonstrationen“ gehandelt werden, wie Anfang dieses Jahres geschehen. Doch all dies taugt in Deutschland nicht zum Skandal. Denn der größte Skandal ist, dass es keinen gibt, weil derlei außer den üblichen Verdächtigen niemanden aufregt.
12. September 2009
Ressentiment fressen Seele auf
Disko von Lothar Galow-Bergemann
Okay, okay. Tief durchgeatmet und ein verständnisvolles Lächeln aufgesetzt. Denn vielleicht hilft ja einfühlsame Pädagogik. Ein offener Brief an einen aufrechten Antiimperialisten
Mein Guter – bitte wundere Dich nicht über diese Anrede, aber ich kenne Dich schon lange und weiß deswegen, dass Du ja eigentlich nur das Gute willst. Außerdem mache ich mir ernste Sorgen um Dich, denn Du hast es im Moment wirklich nicht leicht. Fast könntest Du mir sogar leidtun.
Denn das mit dem Iran ist aber auch so was von bescheuert. Wie konnte das nur passieren? Jetzt revoltieren die Menschen in der bedeutendsten Bastion des weltweiten Widerstandes gegen Imperialismus und Zionismus! Ausgerechnet dort! Welch diebische Freude haben Dir die Jungs in Teheran doch immer bereitet, wenn sie den Imperialismus mal wieder an der Nase herumgeführt haben. Ihre etwas andere kulturelle Prägung, etwa ihr vielleicht gewöhnungsbedürftiges Verständnis von der Rolle der Frau, hat Dich nie gestört, schließlich bist Du kein Rassist. Und erst die schönen Reden von Ahmadinejad, die man immer so ausführlich auf den Seiten des Friedensratschlags nachlesen kann – bei ihnen sind Dir doch die warmen Schauer nur so den Rücken heruntergelaufen, wenn er es dem Imperialistenpack mal wieder so richtig gegeben hat. Die hinterhältigen Zionisten, die ihn voller Heimtücke permanent falsch übersetzen und ihm absurderweise unterschieben, er wolle ihr verdammtes Gebilde ausradieren, konnten Dich selbstverständlich nie vom Glauben an seine Friedensbereitschaft abbringen. Denn Du, das bist Du Dir schließlich schuldig, gehörst doch nicht zu denen, die auf die manipulierten Medien hereinfallen. Natürlich hast Du auch nie vom Zionistengebilde geredet. Du weißt schließlich, wie man das formulieren muss. Hierzulande, wo man ja aus bekannten Gründen aufpassen muss, was man sagt. Und der ganze aufgebauschte Käse mit den Atomwaffen, was soll’s, genau besehen ist es doch gar nicht so schlecht, hast Du immer bei Dir gedacht, hoffentlich ist Chávez auch bald so weit, das wäre eine schöne Schlappe für den Imperialismus.
Und dann aus heiterem Himmel plötzlich das! Seit Jahr und Tag träumst Du von einer revolutionären Situation. Du weißt natürlich, dass dann die da unten nicht mehr so weitermachen wollen und die da oben nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Schließlich hast Du Deinen Lenin gelesen. Ich verschone Dich jetzt mal für einen Moment mit meiner Nörgelei an Deinen heißgeliebten Völkern und lass mich ganz auf das Gute ein, das in Deiner Seele waltet. Du siehst doch, wie das Volk im Iran gegen seine Unterdrücker aufsteht, Du hörst doch, wie es nach Freiheit ruft. Drängt da nicht irgendwas in Dir mit Macht an seine Seite? Mal ehrlich und unter uns: Spräche nicht alles dafür, dass Du Dich endlich mal wieder so richtig der revolutionären Begeisterung hingibst?
Doch es ist wie verhext. Sie will sich partout nicht einstellen. Warum nur? Es gibt nur eine Erklärung dafür: dieses unangenehme Gefühl in Deiner Magengrube, das Dir immer wieder zuraunt: »Achtung. Dies ist das falsche Volk. Schließlich rebelliert es doch gegen die Richtigen.« Denn dass die Regierung in Teheran irgendwie ziemlich richtig liegt, das war Dir doch immer klar. Du denkst geopolitisch. Deswegen rechnest Du nach, um wie viel größer die Einflusssphäre der Yankees und Zionisten wohl wäre, wären da nicht die widerständigen Iraner. Denn diese beiden, also bitte, das ist ja nun wirklich das kleine Einmaleins eines jeden aufrechten Friedensfreundes und Revolutionärs, diese beiden sind ja wohl unbestreitbar der Gipfel des Übels auf der Welt, die wahre Achse des Bösen, wenn man so will. Die Jungs in Teheran sprechen ja nicht ganz zu Unrecht vom großen und vom kleinen Satan.
Mein Guter, vielleicht überrascht es Dich, aber ich unterstelle Dir jetzt einfach mal, dass Du einer von der feinfühligeren Sorte bist und Dich, wenn Du an die iranischen Regimegegner denkst, nicht so recht dafür begeistern kannst, »dass Ahmadinejads Leute den einen oder andern in einen Darkroom befördert haben«. Tja, denkst Du Dir, das mit den Foltergefängnissen und dem Abknallen von Demonstranten ist halt doch nicht ganz das Wahre. Aber sofort meldet sich Deine Magengrube: Was weiß man denn überhaupt wirklich darüber? Wie viel hat denn da die CIA bloß wieder erfunden? Und überhaupt: Muss man das nicht im Interesse der Sache in Kauf nehmen? Könntest Du das Siegesgeheul der Imperialisten ertragen, wenn die Konterrevolutionäre gewönnen? Nicht auszudenken!
Weißt Du eigentlich, dass Deine iranischen Genossen vor 30 Jahren genauso gedacht haben, damals, als sie geholfen haben, Khomeini an die Macht zu bringen? Und dass sie dafür nach wenigen Monaten mit dem Leben bezahlt haben? Oder willst Du es bloß nicht wissen? Spürst Du immer noch so viel Nähe zu den Teheraner Kämpfern gegen Imperialismus und Zionismus, dass Du noch nicht einmal das an Dich heranlassen kannst? Ist Dein antiamerikanisches und antizionistisches Ressentiment so groß, dass du nicht merkst, wie Du auch noch das letzte Quäntchen Freiheitsanspruch aufgibst, wenn Du Dich mit denen weiter einlässt? Pass auf, mein Lieber, Ressentiment fressen Seele auf.
Da ist er wieder, dieser verdammte Magenkrampf, der sich in letzter Zeit immer öfter bei Dir meldet. Also erst mal schnell die Droge einwerfen: »Alles nur ein schmutziges Machwerk des Imperialismus und seiner durchtriebenen Strippenzieher und Ränkeschmiede!« Ah, spürst du schon, wie es nachlässt, wie sich alles wieder entkrampft. Diese wohltuende Wirkung. Jetzt kannst Du Dich wieder zurücklehnen, Dein Weltbild ist wieder im Lot.
Für den Moment jedenfalls. Denn gleich darauf trifft Dich der Schlag: Jetzt geht der Zirkus doch wahrhaftig sogar schon in der Jungen Welt los. Da streiten sie sich auch schon über diese Sache im Iran. Sollte denn der Mossad seine Leute sogar in Deinem Leib- und Magenblatt platzieren? Andererseits, gib’s zu: In irgendeiner abgeschirmten Ecke Deines Herzens hattest Du schon immer ein blödes Gefühl, wenn der geniale Führer der Sozialistischen Einheitspartei in Caracas mal wieder so schamlos dem Holocaust-Leugner von Teheran in den Armen lag. Könnten die das nicht ein wenig unauffälliger machen?
Na, merkst Du schon, wie der imperialistische Agent in Dir zu rumoren beginnt? Verdammt, die CIA ist wirklich überall. Dabei war Dir doch bis jetzt alles so klar in Deiner Welt. Betrüger, Strippenzieher, Heuschrecken und Kriegstreiber beherrschten sie und Dich. Ob sie die Völker knechteten – ganz besonders das palästinensische natürlich – oder ob sie Dir die Arbeit wegnahmen und die Sozialhilfe kürzten, allein ihre Profitgier war an allem schuld. Und wie gut Deine Welt doch erst eingerichtet gewesen wäre, hätten deinesgleichen nur endlich ans Ruder gedurft.
Ich fürchte, mein Guter, Du wirst Dich irgendwann auch noch mit Kapitalismus befassen müssen. Das ist die Produktionsweise, die zwar Riesenprobleme schafft, aber wenigstens keine personale Herrschaft mehr braucht, keinen Wächterrat und keine Sittenpolizei, die aufpasst, dass der Schleier richtig sitzt, keinen lebenslänglichen Caudillo oder ähnliches. Aber dazu will ich Dir ein andermal schreiben. Für heute will ich Dir nur noch das sagen: Die gute Linke, die automatisch auf der richtigen Seite steht, weil sie schließlich allen andern haushoch moralisch überlegen ist – die gibt es nicht. Was sich seit geraumer Zeit herausbildet, riecht nach etwas anderem. Nach einer kackbraun-blutrot-giftgrünen Einheitsfront aus Nazis, Antiimps und Islamisten nämlich, die ihr kollektivistisches Ressentiment unter der Fahne des Kampfes gegen Spekulanten, USA und Israel ausagiert. Möchtest Du dazugehören? Einige deiner Freunde wollen das.
Kann man denen natürlich nachmachen. Muss man aber nicht. Denn da gibt es erfreulicherweise noch etwas anderes. Eine emanzipatorische Strömung nämlich, deren Markenzeichen die Kritik an fetischistischer Vergesellschaftung ist (das sind Zustände, ihn denen sich die Menschen von ihren eigenen Hirngespinsten beherrschen lassen, verstehst Du?). Sie hat keine Fahne, aber wenn sie eine hätte, wäre es die der freien Assoziation der Individuen. Auch entsteht sie auf verschlungenen Pfaden und unter Geburtswehen, bringt mitunter – wie jede Befreiungsbewegung – sogar Karikaturen ihrer selbst hervor und ist sich über ihre Konturen oft selbst noch nicht im Klaren. Aber schau, Du singst doch ab und zu das hier (oder brummst es wenigstens mit): »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, er will unter sich keinen Sklaven sehn und über sich keinen Herrn.« Glaub mir, wenn Du es damit wirklich ernst meinst, wirst Du Dich früher oder später dieser Strömung zurechnen. Tja, mein lieber Noch-Antiimp, auch Du wirst Dich entscheiden müssen. Wie sagte doch einst Dein Lenin: »Ein Mittelding gibt es hier nicht.«
Okay, okay. Tief durchgeatmet und ein verständnisvolles Lächeln aufgesetzt. Denn vielleicht hilft ja einfühlsame Pädagogik. Ein offener Brief an einen aufrechten Antiimperialisten
Mein Guter – bitte wundere Dich nicht über diese Anrede, aber ich kenne Dich schon lange und weiß deswegen, dass Du ja eigentlich nur das Gute willst. Außerdem mache ich mir ernste Sorgen um Dich, denn Du hast es im Moment wirklich nicht leicht. Fast könntest Du mir sogar leidtun.
Denn das mit dem Iran ist aber auch so was von bescheuert. Wie konnte das nur passieren? Jetzt revoltieren die Menschen in der bedeutendsten Bastion des weltweiten Widerstandes gegen Imperialismus und Zionismus! Ausgerechnet dort! Welch diebische Freude haben Dir die Jungs in Teheran doch immer bereitet, wenn sie den Imperialismus mal wieder an der Nase herumgeführt haben. Ihre etwas andere kulturelle Prägung, etwa ihr vielleicht gewöhnungsbedürftiges Verständnis von der Rolle der Frau, hat Dich nie gestört, schließlich bist Du kein Rassist. Und erst die schönen Reden von Ahmadinejad, die man immer so ausführlich auf den Seiten des Friedensratschlags nachlesen kann – bei ihnen sind Dir doch die warmen Schauer nur so den Rücken heruntergelaufen, wenn er es dem Imperialistenpack mal wieder so richtig gegeben hat. Die hinterhältigen Zionisten, die ihn voller Heimtücke permanent falsch übersetzen und ihm absurderweise unterschieben, er wolle ihr verdammtes Gebilde ausradieren, konnten Dich selbstverständlich nie vom Glauben an seine Friedensbereitschaft abbringen. Denn Du, das bist Du Dir schließlich schuldig, gehörst doch nicht zu denen, die auf die manipulierten Medien hereinfallen. Natürlich hast Du auch nie vom Zionistengebilde geredet. Du weißt schließlich, wie man das formulieren muss. Hierzulande, wo man ja aus bekannten Gründen aufpassen muss, was man sagt. Und der ganze aufgebauschte Käse mit den Atomwaffen, was soll’s, genau besehen ist es doch gar nicht so schlecht, hast Du immer bei Dir gedacht, hoffentlich ist Chávez auch bald so weit, das wäre eine schöne Schlappe für den Imperialismus.
Und dann aus heiterem Himmel plötzlich das! Seit Jahr und Tag träumst Du von einer revolutionären Situation. Du weißt natürlich, dass dann die da unten nicht mehr so weitermachen wollen und die da oben nicht mehr so weitermachen können wie bisher. Schließlich hast Du Deinen Lenin gelesen. Ich verschone Dich jetzt mal für einen Moment mit meiner Nörgelei an Deinen heißgeliebten Völkern und lass mich ganz auf das Gute ein, das in Deiner Seele waltet. Du siehst doch, wie das Volk im Iran gegen seine Unterdrücker aufsteht, Du hörst doch, wie es nach Freiheit ruft. Drängt da nicht irgendwas in Dir mit Macht an seine Seite? Mal ehrlich und unter uns: Spräche nicht alles dafür, dass Du Dich endlich mal wieder so richtig der revolutionären Begeisterung hingibst?
Doch es ist wie verhext. Sie will sich partout nicht einstellen. Warum nur? Es gibt nur eine Erklärung dafür: dieses unangenehme Gefühl in Deiner Magengrube, das Dir immer wieder zuraunt: »Achtung. Dies ist das falsche Volk. Schließlich rebelliert es doch gegen die Richtigen.« Denn dass die Regierung in Teheran irgendwie ziemlich richtig liegt, das war Dir doch immer klar. Du denkst geopolitisch. Deswegen rechnest Du nach, um wie viel größer die Einflusssphäre der Yankees und Zionisten wohl wäre, wären da nicht die widerständigen Iraner. Denn diese beiden, also bitte, das ist ja nun wirklich das kleine Einmaleins eines jeden aufrechten Friedensfreundes und Revolutionärs, diese beiden sind ja wohl unbestreitbar der Gipfel des Übels auf der Welt, die wahre Achse des Bösen, wenn man so will. Die Jungs in Teheran sprechen ja nicht ganz zu Unrecht vom großen und vom kleinen Satan.
Mein Guter, vielleicht überrascht es Dich, aber ich unterstelle Dir jetzt einfach mal, dass Du einer von der feinfühligeren Sorte bist und Dich, wenn Du an die iranischen Regimegegner denkst, nicht so recht dafür begeistern kannst, »dass Ahmadinejads Leute den einen oder andern in einen Darkroom befördert haben«. Tja, denkst Du Dir, das mit den Foltergefängnissen und dem Abknallen von Demonstranten ist halt doch nicht ganz das Wahre. Aber sofort meldet sich Deine Magengrube: Was weiß man denn überhaupt wirklich darüber? Wie viel hat denn da die CIA bloß wieder erfunden? Und überhaupt: Muss man das nicht im Interesse der Sache in Kauf nehmen? Könntest Du das Siegesgeheul der Imperialisten ertragen, wenn die Konterrevolutionäre gewönnen? Nicht auszudenken!
Weißt Du eigentlich, dass Deine iranischen Genossen vor 30 Jahren genauso gedacht haben, damals, als sie geholfen haben, Khomeini an die Macht zu bringen? Und dass sie dafür nach wenigen Monaten mit dem Leben bezahlt haben? Oder willst Du es bloß nicht wissen? Spürst Du immer noch so viel Nähe zu den Teheraner Kämpfern gegen Imperialismus und Zionismus, dass Du noch nicht einmal das an Dich heranlassen kannst? Ist Dein antiamerikanisches und antizionistisches Ressentiment so groß, dass du nicht merkst, wie Du auch noch das letzte Quäntchen Freiheitsanspruch aufgibst, wenn Du Dich mit denen weiter einlässt? Pass auf, mein Lieber, Ressentiment fressen Seele auf.
Da ist er wieder, dieser verdammte Magenkrampf, der sich in letzter Zeit immer öfter bei Dir meldet. Also erst mal schnell die Droge einwerfen: »Alles nur ein schmutziges Machwerk des Imperialismus und seiner durchtriebenen Strippenzieher und Ränkeschmiede!« Ah, spürst du schon, wie es nachlässt, wie sich alles wieder entkrampft. Diese wohltuende Wirkung. Jetzt kannst Du Dich wieder zurücklehnen, Dein Weltbild ist wieder im Lot.
Für den Moment jedenfalls. Denn gleich darauf trifft Dich der Schlag: Jetzt geht der Zirkus doch wahrhaftig sogar schon in der Jungen Welt los. Da streiten sie sich auch schon über diese Sache im Iran. Sollte denn der Mossad seine Leute sogar in Deinem Leib- und Magenblatt platzieren? Andererseits, gib’s zu: In irgendeiner abgeschirmten Ecke Deines Herzens hattest Du schon immer ein blödes Gefühl, wenn der geniale Führer der Sozialistischen Einheitspartei in Caracas mal wieder so schamlos dem Holocaust-Leugner von Teheran in den Armen lag. Könnten die das nicht ein wenig unauffälliger machen?
Na, merkst Du schon, wie der imperialistische Agent in Dir zu rumoren beginnt? Verdammt, die CIA ist wirklich überall. Dabei war Dir doch bis jetzt alles so klar in Deiner Welt. Betrüger, Strippenzieher, Heuschrecken und Kriegstreiber beherrschten sie und Dich. Ob sie die Völker knechteten – ganz besonders das palästinensische natürlich – oder ob sie Dir die Arbeit wegnahmen und die Sozialhilfe kürzten, allein ihre Profitgier war an allem schuld. Und wie gut Deine Welt doch erst eingerichtet gewesen wäre, hätten deinesgleichen nur endlich ans Ruder gedurft.
Ich fürchte, mein Guter, Du wirst Dich irgendwann auch noch mit Kapitalismus befassen müssen. Das ist die Produktionsweise, die zwar Riesenprobleme schafft, aber wenigstens keine personale Herrschaft mehr braucht, keinen Wächterrat und keine Sittenpolizei, die aufpasst, dass der Schleier richtig sitzt, keinen lebenslänglichen Caudillo oder ähnliches. Aber dazu will ich Dir ein andermal schreiben. Für heute will ich Dir nur noch das sagen: Die gute Linke, die automatisch auf der richtigen Seite steht, weil sie schließlich allen andern haushoch moralisch überlegen ist – die gibt es nicht. Was sich seit geraumer Zeit herausbildet, riecht nach etwas anderem. Nach einer kackbraun-blutrot-giftgrünen Einheitsfront aus Nazis, Antiimps und Islamisten nämlich, die ihr kollektivistisches Ressentiment unter der Fahne des Kampfes gegen Spekulanten, USA und Israel ausagiert. Möchtest Du dazugehören? Einige deiner Freunde wollen das.
Kann man denen natürlich nachmachen. Muss man aber nicht. Denn da gibt es erfreulicherweise noch etwas anderes. Eine emanzipatorische Strömung nämlich, deren Markenzeichen die Kritik an fetischistischer Vergesellschaftung ist (das sind Zustände, ihn denen sich die Menschen von ihren eigenen Hirngespinsten beherrschen lassen, verstehst Du?). Sie hat keine Fahne, aber wenn sie eine hätte, wäre es die der freien Assoziation der Individuen. Auch entsteht sie auf verschlungenen Pfaden und unter Geburtswehen, bringt mitunter – wie jede Befreiungsbewegung – sogar Karikaturen ihrer selbst hervor und ist sich über ihre Konturen oft selbst noch nicht im Klaren. Aber schau, Du singst doch ab und zu das hier (oder brummst es wenigstens mit): »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum hat er Stiefel im Gesicht nicht gern, er will unter sich keinen Sklaven sehn und über sich keinen Herrn.« Glaub mir, wenn Du es damit wirklich ernst meinst, wirst Du Dich früher oder später dieser Strömung zurechnen. Tja, mein lieber Noch-Antiimp, auch Du wirst Dich entscheiden müssen. Wie sagte doch einst Dein Lenin: »Ein Mittelding gibt es hier nicht.«
11. September 2009
Aghanistan den Taliban
von Joachim Steinhöfel
Auch am 11. September liest man „Raus aus Afghanistan“ auf den Wahlplakaten der SED-Nachfolgepartei und – sinngemäß - neben dem Antlitz von Herrn Lafontaine, dass Kriege noch nie ein Problem gelöst hätten. Was hätten ihm Churchill, Roosevelt oder Eisenhower auf diese skrupellose Propaganda geantwortet ? Oder die Opfer in den Konzentrationslagern ? Ein Blick nach Ruanda, Darfur oder Srebrenica dürfte ebenfalls Material für eine Antwort liefern. Die Mehrheit der Deutschen (53 %) lehnt den Einsatz in Afghanistan ab (58 % der Anhänger der Grünen sagen nein, bei der SED-Nachfolgepartei sind es 80 %).
Anstatt der Bundeswehr, die bei einem Luftangriff über 50 Taliban tötete, zu gratulieren, steht das Gerücht ziviler Opfer im Mittelpunkt der Berichterstattung. Staatsanwälte, die sich aufspielen möchten, fabulieren von Ermittlungsverfahren gegen Bundeswehrsoldaten. Taliban, die nicht wie Zivilisten herumlaufen, hat aber auch noch niemand zu Gesicht bekommen. In einem Krieg (oder wie auch immer der neueste Euphemismus lautet, den Mitglieder der Bundesregierung einsetzen) gegen nicht uniformierte Terroristen sind zivile Opfer tragisch, aber unvermeidbar. In Deutschland sind nicht die jedes Kriegsrecht verletzenden Taliban die Täter, sondern – mutmaßlich – unsere Soldaten.
Kanada, Großbritannien, Australien und Polen bekämpfen die Terroristen in Afghanistan aggressiv. Die USA haben mit General McChrystal einen herausragenden Militär, dessen Fähigkeit, sich gegen den realitätsresistenten Präsidenten durchzusetzen sich aber erst noch erweisen muß. Deutschland hingegen hat – kürzlich geringfügig modifizierte – Einsatzregeln, die das Verfolgen, Aufspüren und Töten von al Qaida und Taliban nahezu unmöglich machen. Statt billiger Wahlwerbung wäre hin und wieder ein Spot wünschenswert, der das Auspeitschen einer 17jährigen zeigt, die das Verbrechen beging, einen Mann anzusehen oder die Steinigung einer Frau, weil sie vergewaltigt wurde aber keine vier männlichen Zeugen dafür aufbieten konnte oder die Hinrichtung in dem vor 2001 mit EU-Geldern gebauten Stadion in Kabul oder die Abtrennung des Kopfes von wehrlosen Zivilisten durch al Qaida-Killer oder – aber das könnte langsam auf einige SEDler ermüdend wirken – etwas 9/11-Material. Die Mehrheit der Deutschen interessiert es nicht, was Taliban und al Qaida mit wehrlosen Menschen machen. Oder ob im Nachbarland Iran islamofaschistische Mullahs auf dem Weg zur Nuklearwaffe sind, die sie Terroristen verkaufen könnten.
Dafür malt man hierzulande an jeder Ecke die Fratze des „neoliberalen“ Ungeheuers an die Wand. In einem Land mit unserer Geschichte. Mir wird übel.
Es gibt keinen „Krieg in Afghanistan“. Es gibt einen fundamentalen Konflikt mit dem Islamofaschismus. Und diese Ideologie kennt keine Grenzen, wie ein Blick in den Sudan, in den Irak, nach Afghanistan, Pakistan, in den Gaza-Streifen oder zur Hisbollah anschaulich macht.
Als die amerikanische Linke im Frühjahr 1975 den Abzug der Amerikaner aus Vietnam und Kambodscha feierte, schrieb der frühere kambodschanische Ministerpräsident, Sirik Matak, einen Brief an US-Botschafter John Gunther Dean, mit dem er dessen Angebot seiner Evakuierung ablehnte.
Dear Excellency and friend,
I thank you very sincerely for your letter and for your offer to transport me towards freedom. I cannot, alas, leave in such a cowardly fashion. As for you and in particular for your great country, I never believed for a moment that you would have this sentiment of abandoning a people which has chosen liberty. You have refused us your protection and we can do nothing about it. You leave us and it is my wish that you and your country will find happiness under the sky. But mark it well that, if I shall die here on the spot and in my country that I love, it is too bad because we are all born and must die one day. I have only committed the mistake of believing in you, the Americans.
Please accept, Excellency, my dear friend, my faithful and friendly sentiments.
Sirik Matak.
Die Roten Khmer nahmen Phnom Penh ein paar Tage später ein. Sirik Matak wurde exekutiert, in den Bauch geschossen und ohne ärztliche Hilfe liegen gelassen. Es dauerte drei Tage, bis er starb. Zwischen einer und zwei Millionen Kambodschaner wurden von den Roten Khmer in den folgenden Jahren ermordet. Eine Folge amerikanischer Schwäche.
Und die Schwäche des Westens ist es auch, die das Rekrutieren von Jihadisten und deren Terroranschläge motiviert. Der Rückzug aus Beirut 1983 nach dem Anschlag der vom Iran gesponserten Hisbollah auf den US-Stützpunkt und aus Somalia 1993 nach „Black Hawk Down“.
Die Jihadisten glauben, sie hätten den Kollaps der Sowjetunion durch deren Niederlage in Afghanistan verursacht. Was würde ein Rückzug der Nato an Mythenbildung und Legenden zur Folge haben ?
Es ist Krieg in Afghanistan und das möchte ich endlich von einem deutschen Politiker hören: „Es ist Krieg und wir sind dort, um zu gewinnen !“
Wobei dann allerdings die Frage durchaus berechtigt wäre, “ob die Bundesregierung sich nicht ein wenig übernimmt, wenn sie die Taliban besiegen will, während die Berliner Polizei nicht einmal mit den Autonomen in der Stadt fertig wird”.
© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2009
Auch am 11. September liest man „Raus aus Afghanistan“ auf den Wahlplakaten der SED-Nachfolgepartei und – sinngemäß - neben dem Antlitz von Herrn Lafontaine, dass Kriege noch nie ein Problem gelöst hätten. Was hätten ihm Churchill, Roosevelt oder Eisenhower auf diese skrupellose Propaganda geantwortet ? Oder die Opfer in den Konzentrationslagern ? Ein Blick nach Ruanda, Darfur oder Srebrenica dürfte ebenfalls Material für eine Antwort liefern. Die Mehrheit der Deutschen (53 %) lehnt den Einsatz in Afghanistan ab (58 % der Anhänger der Grünen sagen nein, bei der SED-Nachfolgepartei sind es 80 %).
Anstatt der Bundeswehr, die bei einem Luftangriff über 50 Taliban tötete, zu gratulieren, steht das Gerücht ziviler Opfer im Mittelpunkt der Berichterstattung. Staatsanwälte, die sich aufspielen möchten, fabulieren von Ermittlungsverfahren gegen Bundeswehrsoldaten. Taliban, die nicht wie Zivilisten herumlaufen, hat aber auch noch niemand zu Gesicht bekommen. In einem Krieg (oder wie auch immer der neueste Euphemismus lautet, den Mitglieder der Bundesregierung einsetzen) gegen nicht uniformierte Terroristen sind zivile Opfer tragisch, aber unvermeidbar. In Deutschland sind nicht die jedes Kriegsrecht verletzenden Taliban die Täter, sondern – mutmaßlich – unsere Soldaten.
Kanada, Großbritannien, Australien und Polen bekämpfen die Terroristen in Afghanistan aggressiv. Die USA haben mit General McChrystal einen herausragenden Militär, dessen Fähigkeit, sich gegen den realitätsresistenten Präsidenten durchzusetzen sich aber erst noch erweisen muß. Deutschland hingegen hat – kürzlich geringfügig modifizierte – Einsatzregeln, die das Verfolgen, Aufspüren und Töten von al Qaida und Taliban nahezu unmöglich machen. Statt billiger Wahlwerbung wäre hin und wieder ein Spot wünschenswert, der das Auspeitschen einer 17jährigen zeigt, die das Verbrechen beging, einen Mann anzusehen oder die Steinigung einer Frau, weil sie vergewaltigt wurde aber keine vier männlichen Zeugen dafür aufbieten konnte oder die Hinrichtung in dem vor 2001 mit EU-Geldern gebauten Stadion in Kabul oder die Abtrennung des Kopfes von wehrlosen Zivilisten durch al Qaida-Killer oder – aber das könnte langsam auf einige SEDler ermüdend wirken – etwas 9/11-Material. Die Mehrheit der Deutschen interessiert es nicht, was Taliban und al Qaida mit wehrlosen Menschen machen. Oder ob im Nachbarland Iran islamofaschistische Mullahs auf dem Weg zur Nuklearwaffe sind, die sie Terroristen verkaufen könnten.
Dafür malt man hierzulande an jeder Ecke die Fratze des „neoliberalen“ Ungeheuers an die Wand. In einem Land mit unserer Geschichte. Mir wird übel.
Es gibt keinen „Krieg in Afghanistan“. Es gibt einen fundamentalen Konflikt mit dem Islamofaschismus. Und diese Ideologie kennt keine Grenzen, wie ein Blick in den Sudan, in den Irak, nach Afghanistan, Pakistan, in den Gaza-Streifen oder zur Hisbollah anschaulich macht.
Als die amerikanische Linke im Frühjahr 1975 den Abzug der Amerikaner aus Vietnam und Kambodscha feierte, schrieb der frühere kambodschanische Ministerpräsident, Sirik Matak, einen Brief an US-Botschafter John Gunther Dean, mit dem er dessen Angebot seiner Evakuierung ablehnte.
Dear Excellency and friend,
I thank you very sincerely for your letter and for your offer to transport me towards freedom. I cannot, alas, leave in such a cowardly fashion. As for you and in particular for your great country, I never believed for a moment that you would have this sentiment of abandoning a people which has chosen liberty. You have refused us your protection and we can do nothing about it. You leave us and it is my wish that you and your country will find happiness under the sky. But mark it well that, if I shall die here on the spot and in my country that I love, it is too bad because we are all born and must die one day. I have only committed the mistake of believing in you, the Americans.
Please accept, Excellency, my dear friend, my faithful and friendly sentiments.
Sirik Matak.
Die Roten Khmer nahmen Phnom Penh ein paar Tage später ein. Sirik Matak wurde exekutiert, in den Bauch geschossen und ohne ärztliche Hilfe liegen gelassen. Es dauerte drei Tage, bis er starb. Zwischen einer und zwei Millionen Kambodschaner wurden von den Roten Khmer in den folgenden Jahren ermordet. Eine Folge amerikanischer Schwäche.
Und die Schwäche des Westens ist es auch, die das Rekrutieren von Jihadisten und deren Terroranschläge motiviert. Der Rückzug aus Beirut 1983 nach dem Anschlag der vom Iran gesponserten Hisbollah auf den US-Stützpunkt und aus Somalia 1993 nach „Black Hawk Down“.
Die Jihadisten glauben, sie hätten den Kollaps der Sowjetunion durch deren Niederlage in Afghanistan verursacht. Was würde ein Rückzug der Nato an Mythenbildung und Legenden zur Folge haben ?
Es ist Krieg in Afghanistan und das möchte ich endlich von einem deutschen Politiker hören: „Es ist Krieg und wir sind dort, um zu gewinnen !“
Wobei dann allerdings die Frage durchaus berechtigt wäre, “ob die Bundesregierung sich nicht ein wenig übernimmt, wenn sie die Taliban besiegen will, während die Berliner Polizei nicht einmal mit den Autonomen in der Stadt fertig wird”.
© Joachim Nikolaus Steinhöfel 2009
8. September 2009
Über den Luftangrif
Die Deutschen sollten stolz auf ihre Soldaten sein
Von Richard Herzinger 7. September 2009, 15:12 Uhr
Der Luftangriff auf zwei Tanklastzüge wird bereits skandalisiert, bevor noch irgendein Ergebnis einer Untersuchung vorliegt. In der Öffentlichkeit entsteht der Eindruck, als seien die Soldaten die wahre Gefahr für die Zivilisten in Afghanistan. Der Einsatz der Bundeswehr für die Freiheit wird gedankenlos diffamiert.
Die öffentlichen Reaktionen auf den von der Bundeswehr veranlassten Luftangriff sind beschämend und empörend. Keine Frage, wenn bei diesem Angriff Zivilisten ums Leben gekommen sein sollten, wäre das in höchstem Maße beklagenswert. Selbstverständlich auch muss jeder solcher Einsatz genau untersucht werden. Aus möglichen fatalen Fehlern und Irrtümern muss von der internationalen Schutztruppe Isaf Konsequenzen gezogen werden. Und sollte die Bundesregierung voreilig falsche Informationen über den Vorfall verbreitet haben, muss sie dafür selbstredend die politische Verantwortung tragen.
Aber sollte sich herausstellen, dass bei dem Angriff tatsächlich unbeteiligte Zivilisten umgekommen sind, dann wäre dies eben ein schlimmer Fehler – nicht weniger, aber auch nicht mehr. In der deutschen Öffentlichkeit aber wird aus diesem Angriff gleich ein „Skandal“, bevor sich noch irgendein Ergebnis einer Untersuchung abzeichnet. Im Zweifel wird das öffentliche Urteil hier gegen den Angeklagten gefällt, was nicht zuletzt daran zu ersehen ist, dass in ARD-Informationssendungen im Zusammenhang mit dem Luftschlag neuerdings schon von einem Angriff auf „vermeintliche“ Taliban die Rede ist. Der Bundeswehr ebenso wie anderen Isaf-Kräften aber grundsätzlich erst einmal zu unterstellen, sie setzten leichtfertig oder gar willentlich das Leben von Zivilisten aufs Spiel – das ist der wahre Skandal.
Das zeugt nämlich von einer grenzenlosen Missachtung der militärischen Situation und der Leistung, die unsere Soldaten in Nordafghanistan in schwieriger und zunehmend gefährlicher Lage vollbringen. Der Befehl zum Luftangriff erfolgte nämlich nicht aus Jux und Dollerei und aus heiterem Himmel, sondern inmitten intensiver Kampfhandlungen, in deren Verlauf die Bundeswehrsoldaten von Taliban-Terroristen (und zwar von ganz realen, und nicht von „vermuteten“) attackiert werden und sich mit ihnen heftige Gefechte liefern müssen.
In Deutschland aber ist kein Wort der Sorge weder um das Leben unserer Soldaten, und schon gar nicht um das der afghanischen Zivilbevölkerung im afghanischen Norden zu hören, die von den radikal-islamistischen Mörderbanden verstärkt bedroht, terrorisiert, unterjocht und als Schutzschild gegen die ausländischen Truppen missbraucht, und deren Leben und Freiheit von den Bundeswehrsoldaten tapfer verteidigt werden. Kaum jemanden hierzulande scheint es zu interessieren, dass die lokalen afghanischen Behörden den von der Bundeswehr angeforderten Luftschlag ausdrücklich begrüßt haben und fordern, es sollten viel mehr solcher Angriffe gegen die immer dreister auftretenden Taliban ausgeführt werden.
Die Voreingenommenheit der deutschen Öffentlichkeit gegen den Afghanistan-Einsatz – ganz zu schweigen von der „antimilitaristischen“ Hetze der Linkspartei und der Heuchelei der Grünen, die den Einsatz angeblich unterstützen, mit ihrem notwendigen militärischen Teil aber nicht in Verbindung gebracht werden wollen -, geht inzwischen so weit, dass allenthalben hemmungslos Ursache und Wirkung verkehrt werden. Als ob die eigentliche Gefahr für die afghanische Zivilbevölkerung von den internationalen Schutztruppen und damit auch von der Bundeswehr ausginge! Ungerührt nimmt man hierzulande hin, dass ein Demagoge wie Oskar Lafontaine unsere Soldaten regelmäßig mit der ungeheuerlichen Behauptung diffamiert, in Afghanistan würden die internationalen Truppen Unschuldige „ermorden“.
Das stammt wohlweislich aus dem Munde eines Mannes, der unserer Demokratie abspricht, eine wirkliche Demokratie zu sein und statt dessen das Regimes eines Hugo Chávez in Venezuela verherrlicht, der gerade dabei ist, dort eine offene Diktatur zu errichten. Chávez, der ideologische Kumpel Lafontaines, ist überdies ein enger Komplize und Finanzier islamistischer, den internationalen Terror fördernder Regimes wie dem in Teheran. Dass Lafontaine, der die vermeintliche Verfolgung von Kommunisten in der Bundesrepublik mit der Verfolgung aller Andersdenkender in der totalitären DDR gleichsetzt, sowie seine Partei, die zum Großteil aus alten SED-Kadern zusammengesetzt ist, für den Auftrag der Bundeswehr, in Afghanistan Freiheit, Demokratie und Menschenrechte zu verteidigen, keinerlei Sympathien hegen, dürfte niemanden verwundern. Unerträglich ist aber, dass sich solche Leute als Wächter von pazifistischer Moral und Menschlichkeit aufspielen können, ohne der geballten Verachtung der Öffentlichkeit einer freiheitlichen Gesellschaft anheim zu fallen.
Beschämend ist auch, dass kein deutscher Regierungspolitiker, sieht man von Verteidigungsminister Jung ab, gegen diese moralische Perversion einigermaßen klare Worte findet. Stattdessen beeilt sich Angela Merkel, eine baldige internationale Konferenz anzukündigen, die über die Möglichkeiten für einen Abzug der westlichen Truppen beraten soll. Ausgerechnet in einer solchen Situation das Wort Abzug in den Mund zu nehmen - da könnte man den Taliban auch eine schriftliche Einladung schicken, die Bundeswehr doch bitte schön noch heftiger zu attackieren, scheint sich das doch auszuzahlen.
Unsäglich ist auch die Eile, mit der einige EU-Regierungen öffentlich über die Deutschen hergefallen sind, ohne eine seriöse Prüfung der Umstände des Lufteinsatzes abzuwarten. Mag sein, dass da von europäischer wie auch von amerikanischer Seite dabei eine gewisse Häme gegenüber der deutschen Regierung mitspielt, die sich zu lange als moralische Oberlehrer einer Kriegsführung aufgespielt hat, die sie anderen überließ. Jetzt aber muss sie sich selbst mit den schwierigen Dilemmata von Kampfeinsätzen auseinandersetzen muss. Aber für die Bigotterie der Bundesregierung wie für ihre Eiertänze um das Unwort „Krieg“ kann die Bundeswehr nichts - und können schon gar nicht die deutschen Soldatinnen und Soldaten etwas, die nun selbst auftragsgemäß selbst im Kampf stehen und ihn pflichtbewusst und verantwortungsvoll annehmen. Es ist deshalb unfair, eventuellen Ärger über die Politik der Bundesregierung auf ihrem Rücken auszutragen.
Es wird höchste Zeit, dass alle Deutschen, denen Sicherheit vor islamistischem Terror und denen Freiheit und Menschenrechte etwas wert sind, ihre Stimme erheben und sich hinter unsere tapferen Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan stellen, die diese Werte mit Leib und Leben verteidigen. Es wird höchste Zeit, ihnen für ihren Mut und ihren Einsatz, den sie nicht nur für eine bessere Zukunft der Afghanen, sondern für unser aller Zukunft erbringen, unsere Dankbarkeit und Unterstützung auf sie zu zeigen. Wir sollten endlich stolz auf unsere Soldaten sein.
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