Hamburg, den 13. Juni 2008
Deutschland, Iran und die Linkspartei
Ein Diskussionsbeitrag, den das "Neue Deutschland" bestellt und den abzudrucken es sich geweigert hat · Von Matthias Küntzel
Die Einladung
Am 29. Mai 2009 bat mich Christian Klemm, ein Redakteur der Tageszeitung „Neues Deutschland“, um einen Gastbeitrag. Er schrieb:
Interessant für unsere Leser und aktuell ist die Diskussion um die Beziehungen der Bundesrepublik zu der Islamischen Republik Iran. Selbst innerhalb der Linken ist dieses Thema sehr umstritten. Es gibt Stimmen, die ein normales, diplomatisches Verhältnis zu diesem Land befürworten. Andere Linke gehen soweit, dass sie diesen Staat als antiimperialistischen Bündnispartner der Linken insgesamt beurteilen.
Allerdings gibt es von anderer Seite große Skepsis an dieser Haltung. Manche Politikwissenschaftler sehen im Iran einen tendenziell antisemitischen Staat, der ein sehr bedenkliches Verhältnis zum Staat Israel pflegt. Einige Kritiker des Iran unterstellen, dieses Land beabsichtige die Vernichtung Israels. Die im Neuen Deutschland wöchentlich erscheinende Debattenseite ist das geeignete Forum, um diesen Sachverhalt kontrovers zu diskutieren. ... Auf der Debattenseite werden i.d.R. zwei konträre Positionen im “Pro/Kontra”-Stil gegeneinander gehalten. Wir verändern die gelieferten Beiträge redaktionell nicht. ... Ich würde mich freuen, wenn Sie bereit wäre, zu dieser Streitfrage einen Gastbeitrag für unsere Zeitung zu schreiben.
Die Ausladung
Am 11. Juni 2009, 49 Minuten, nachdem ich meinen Debattenbeitrag an das „Neue Deutschland“ übersandt hatte, schrieb mir Christan Klemm den folgenden Brief:
Sehr geehrter Herr Küntzel!
Nach der Lektüre des Beitrages hat sich die Redaktion entschieden, Ihren Text nicht zu drucken.
Nach unserer Auffassung behandelt er erstens nicht das gestellte Thema, und zweitens fehlt ihm jede journalistische Seriösität.
Christian Klemm, Neues Deutschland
Die Erwiderung
Hallo Herr Klemm,
Ihr Brief hat mich überrascht. Solch eine Ausladung habe ich während meiner 35-jährigen Schreibtätigkeit noch nicht erhalten. Allerdings hatte ich auch noch nie mit dem „Neuen Deutschland“ zu tun.
Sie scheinen pünktlich zum 50. Jubiläum des “ND” beweisen zu wollen, dass sich an der Zeitung im Prinzip nichts geändert hat. Glauben Sie denn wirklich, sie können die Argumente, die ich anführe, so zum Schweigen bringen?
Sie wollen eine Debatte unterdrücken, bevor sie überhaupt begonnen hat. Die Begründungen, die Sie dafür ins Feld führen, sind lächerlich. Warum lassen Sie nicht Ihre Leser darüber urteilen, ob mein Beitrag journalistisch seriös ist oder nicht, ob er sein Thema getroffen hat oder nicht? Dass ich mit guten Argumenten belege, warum schärfere Sanktionen gegen den Iran notwendig sind, dass ich für eine Opposition plädiere, die “die Regierung hinsichtlich der Einlösung ihrer Sanktionsversprechungen vor sich her jagt” – das wollen Sie nicht bemerkt haben?
Ihre Entscheidung fiel offenkundig im Affekt. Zwischen dem Eingang des von Ihnen bestellten Diskussionsbeitrags und dem Beschluss Ihrer Redaktion, ihn nicht zu drucken, lagen keine 50 Minuten. Nennen Sie das “journalistische Seriösität”? Mir kommt es eher wie eine Panikreaktion vor.
Anstatt meine Quellen zu überprüfen, anstatt sich um Gegenargumente zu bemühen, anstatt dem Autor Änderungen vorzuschlagen gebärden Sie sich, als sei die Zeit an jenem Tag “1958. Stalinallee, am 29.Juni”, stehengeblieben, den Sie in Ihrer Sonderbeilage zum 50. ND-Pressefest nostalgisch feiern. Damals durfte man Nágys Hinrichtung in Ungarn nicht kritisieren. Und heute soll über den wundesten Punkt der Linkspartei – ihr Verhältnis gegenüber dem Iran – nicht gesprochen werden dürfen? Was damals eine Tragödie war, ist heute nur bizarr. Trotzdem vielen Dank, Herr Klemm! Ich habe was gelernt. Und danke auch für den Skandal: Manchmal leben totgewünschte Artikel länger.
Shalom!
Matthias Küntzel
P.S.: Mein Zeilenhonorar von 39 Cent dürfen Sie behalten. Ich habe mich entschieden, den Diskussionsbeitrag und unserer Korrespondenz zu veröffentlichen.
Hier der Artikel, um den es geht
Der jüngste Iran-Bericht der Internationalen Atomagentur fällt alarmierend aus: In achtzehn Anhängen werden die militärischen Komponenten des Atomprogramm akribisch aufgelistet und die Einflussnahme der Militärs auf das Programm dokumentiert.[1] Gleichzeitig beschimpfen die Machthaber in Teheran Israel als „schwarze dreckige Mikrobe“ und als „krebsartiges Gewächs“ und kündigen dessen Beseitigung in immer kürzeren Abständen an.
Australien und Kanada wollen Ahmadinejad wegen seiner genozidalen Aufrufe verklagen. Der UN-Sicherheitsrat hat drei Sanktionsbeschlüsse verabschiedet, um das Atomprogramm zu stoppen. Selbst die Bundeskanzlerin kündigte zum Verdruss von Siemens, Linde und RWE schärfere Sanktionen an.
Und die Linkspartei, die sich auf ihrem Cottbusser Parteitag als Vorkämpferin gegen Rechtsradikalismus, Antisemitismus und Atomenergie feierte? Treibt sie den Kampf gegen den iranischen Faschismus, Antisemitismus und Atomwahn voran? Nutzt sie, was bitter notwendig wäre, die Möglichkeiten einer parlamentarischen Opposition, um die Regierung hinsichtlich der Einlösung ihrer Sanktionsversprechungen vor sich her zu jagen?
Weit gefehlt. Die Linken erwecken den Eindruck, als hätten sie nichts Eiligeres zu tun, als das zu werden, was Chavez, Castro und Ortega in Latein- und Südamerika bereits sind: Der wichtigste Partner des Mullah-Regimes in Berlin.
Schon im April 2006 wollte Fraktionsvorsitzender Lafontaine nach Teheran reisen, um mit Ahmadinejad zu konferieren – ein Unterfangen, das nicht die Linkspartei, sondern das Regime ins Leere laufen ließ. Damals hatte Ahmadinejad gerade seine erste Holocaustleugner-Kampage in Form eines Karikaturenwettbewerbs lanciert. Es war aber nicht der Antisemitismus des iranischen Präsidenten, der Lafontaines Zorn erregte, sondern die „pharisäerhafte“ und „nicht haltbare“ Iran-Politik des Westens. Es sei zwar „bedrohlich, wenn auch der Iran sein Atomprogramm ausbaue“, räumte er ein. Frieden entstehe aber „nicht dadurch, dass man einem Land die Rechte verweigert, die man sich selbst nimmt.“[2] Soll also ausgerechnet Teheran ein Recht auf Atomwaffentechnik haben?
Durchaus! – erklärt Norman Peach, der außenpolitische Sprecher, auf der Homepage der Fraktion Die Linken: „Was man Israel oder Pakistan gewährt hat, kann man dem Iran nicht verweigern.“ Der Westen solle seine Forderung nach einem Stopp der iranischen Urananreicherung aufgeben.[3] Diese Logik ist famos: Ob die Führung eines Landes vom Märtyrerkult besessen ist oder nicht, ob sie einen anderen Staat erklärtermaßen auslöschen will oder nicht – all das scheint Peach egal zu sein. Nach dieser Gleichung hätte man die Atombombe, die Roosevelt Anfang 1945 besaß, einem Hitler „nicht verweigern“ dürfen.
Bis heute hat Die Linke im Bundestag noch jeden Versuch, das Mullah-Regime unter Druck zu setzen, bekämpft. Inzwischen nehmen selbst Teile der Friedensbewegung das islamistische Zentrum in Schutz. „Keine Sanktions- und Kriegsdrohungen gegen den Iran!“ – diese Losung prangte im Jargon der „Dritte-Welt-Bewegung“ auf dem Aufruf zum Hamburger Ostermarsch 2008. Sie hätte genau so gut „Atomwaffen für das Mullah-Regime!“ heißen können.
Und was ist mit der Tatsache, dass im Iran Frauen malträtiert, Schwule öffentlich aufgehängt, Bahais erschossen, Gewerkschafter gefoltert und „Sünder und Sünderinnen“ gesteinigt werden? Hören wir uns an, was die Autoren des Gesprächskreises „Frieden und Sicherheitspolitik“ der Rosa-Luxemburg-Stiftung in ihrem umfangreichen Iran-Dossier dazu sagen: „Am konsequentesten und unbeirrtesten“ fabulieren sie im schönsten Honecker-Deutsch, artikuliere die iranische Führung die „Ablehnung einer expansiven Transplantation des westlichen Wertemodells“. Ein Partner also im Widerstand? „Zum iranischen Entwicklungsweg“, heißt es weiter wörtlich, „sollte grundsätzlich eine Haltung bezogen werden, die als selbstverständlich anerkennt, dass Iran seinen selbstbestimmten, am Islam, der sozialen Spezifik und Werten seiner Gesellschaft orientierten Entwicklungsweg geht.“[4] Fatwa statt Fanta – na Bravo! Da staunt die iranische Opposition und der Marxist wundert sich.
Dieses von der Luxemburg-Stiftung im Oktober 2006 veröffentlichte Papier tut die iranische Holocaust-Leugnung und Vernichtungsankündigung gegen Israel mit kaum zwei Sätzen ab. Die Nonchalance gegenüber der Androhung eines neuen Genozids und die Ablehnung jeglicher Sanktionspolitik durch die Bundestagsfraktion machen deutlich, wie wenig die Katastrophe Auschwitz und der Vernichtungsantisemitismus der Nazis das Bewusstsein dieser Linken in Wirklichkeit tangiert. Sie zeugen darüber hinaus von einer ideologischen Panzerung wider die Realität, die ihresgleichen sucht. Offenkundig hat die eingeschliffene Gegnerschaft zu den USA und Israel die Fähigkeit zerstört, neue Formen des Antisemitismus und die Bedrohung Israel mit Massenvernichtungswaffen auch nur zu erkennen, geschweige denn dagegen anzugehen. Doch gilt auch heute das Wort von Georg Steiner, der 1940 den Nazis knapp entkam: „Die Menschen sind mitschuldig an allem, was sie gleichgültig lässt.“
Und die Zeitbombe tickt. Seit 1945 hat sich die Welt an die Vorstellung von Atomwaffen im Besitz von säkularen oder halb-säkularen Mächten gewöhnt. Im Iran sind wir mit etwas Neuem konfrontiert. Hier wird erstmals das Zerstörungspotential der Bombe mit dem Furor des erklärten Religionskriegs, mit Mahdi-Glaube und Märtyrerideologie, vereint. Es ist die Ankopplung an eine globale religiöse Mission, die das iranische Atomprogramm zur gegenwärtig größten Gefahr auf dem Globus macht. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine iranische Atombombe zum I. Weltkrieg des 21. Jahrhunderts führt, ist einfach zu groß, als dass man es darauf ankommen lassen dürfte.
Dennoch tauchte der Topos „Iranisches Atomprogramm“ auf dem Cottbusser Parteitag nicht auf. Um so dringender steht die Ausweitung der laufenden parteiinternen Israel-Debatte auf die Iranpolitik an. Wer ausgerechnet Ahmadinedschads Iran vor Amerika zu schützen sucht – und zwar selbst dann, wenn es um den letzten Versuch einer friedlichen Lösung, um harte Sanktionen also geht –, bereitet eben jenem Szenario den Weg, das zu verhindern er sich auf die Fahne geschrieben hat: die militärische Konfrontation. Wenn Teheran nicht unverzüglich und massiv – auch mit Sanktionen – unter Druck gesetzt und vor die Alternative gestellt wird, entweder seinen Atomkurs zu ändern oder verheerende ökonomische und politische Schäden zu erleiden, bleibt nur die Wahl zwischen einer [5]schlechten Alternative – der militärische Option – oder einer schrecklichen, der iranischen Bombe.
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[1] Iran and the Inspectors, in: New York Times, May 28, 2008.
[2] „Wir können nicht warten, bis Bush etwas merkt“, Gespräch mit Oskar Lafontaine, in: Neues Deutschland, 13. Februar 2006.
[3] Tilmann Steffen, Linke sieht Westen im Streit mit Iran unterlegen, siehe unter: www.linksfraktion.de.
[4] Dr. Arne Seifert, Wolfgang Grabowski, Prof. Dr. Hans Jürgen Krysmanski, Prof. Dr. Claus Montag, Prof. Dr. John Neelsen, Prof. Dr. Werner Ruf, Jochen Scholz, Dr. Peter Strutynski, Joachim Wahl, Anti-iranische Offensive: Mehr als ein Atomstreit. Aus dem Gesprächskreis ,Frieden und Sicherheitspolitik’ der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Oktober 2006 (http://www.rosalux.de/cms/index.php?id=13693&type=0 )
Quelle: Blog von Matthias Küntzel
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