20. Juli 2006

Alle sind gleich, nur einige sind gleicher...

Verstöße gegen Völkerrecht
Eine Betrachtung

Die Deutsche Presseagentur (dpa) hat am Mittwoch ein Interview mit dem Bochumer Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze veröffentlicht. Dabei geht um die Rechtmäßigkeit eines Verteidigungskrieges, der jetzt im Nahen Osten geführt wird. Der n-tv Nahostkorrespondent Ulrich W. Sahm hat uns seine Randnotizen und Anmerkungen zu dem Thema geschickt. Sahms Kommentare und Überlegungen sind im Folgenden kursiv dargestellt.


Mehr als eine Woche halten die Kämpfe in Nahost an, hunderte Zivilisten haben dabei ihr Leben verloren - und mit der zunehmenden Härte des Konflikts wird immer deutlicher: Israel hält sich offenbar nicht an die Regeln, die das humanitäre Völkerrecht für die Kriegsführung vorsieht.

Die Hisbollah aber hält sich dran.

Das Recht Israels, sich gegen die Katjuscha-Raketen der Hisbollah-Milizen zur Wehr zu setzen, steht außer Frage.

Außer Frage auch das Recht der Hisbollah, Soldaten zu entführen, den Nachbarstaat anzugreifen und hunderte Raketen allein auf Bevölkerungszentren abzuschießen.

Allerdings gebietet die Genfer Konvention den größtmöglichen Schutz der Zivilbevölkerung.

Der libanesischen ja, nicht aber der israelischen.

Im Grundsatz allerdings ist spätestens seit den Anschlägen des 11. September 2001 anerkannt, dass das "naturgegebene" Selbstverteidigungsrecht der Staaten nach Artikel 51 der UN-Charta nicht nur bei militärischer Aggression staatlicher Armeen greift. Auch terroristische Aktivitäten können als "bewaffneter Angriff" eingestuft werden und einen militärischen Gegenschlag rechtfertigen. Denn jeder Staat ist verpflichtet, auf seinem Territorium gewaltsame Aktionen gegen andere Staaten zu unterbinden.

Das gilt auch für die Guerillatruppe der radikal-islamischen Hisbollah. Zwar dürfte die kraftlose libanesische Regierung kaum die Macht haben, die gut bewaffneten und trainierten Milizen in ihre Schranken zu weisen. "Wenn der Staat dazu zu schwach ist, ist Israel trotzdem zur Selbstverteidigung berechtigt", erläutert der Bochumer Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze.

Allerdings steht eine erlaubte Selbstverteidigung - die im Übrigen die Einschaltung des UN-Sicherheitsrats voraussetzt - immer unter dem Gebot der Verhältnismäßigkeit.

Was verhältnismäßig ist, haben vor allem Menschenrechtsorganisationen festgelegt. Meistens ist es so, dass bewaffneten Gruppen wie Hisbollah so ziemlich alles erlaubt ist, einem Staat wie Israel aber nicht einmal die Selbstverteidigung. Siehe die berühmte Überschrift: "Israel droht dem Iran mit Selbstverteidigung". So war Hamas erlaubt, dutzende Menschen durch Selbstmordattentäter gezielt zu töten. Israels Reaktion, den Chef dieser Selbstmordattentäter gezielt zu töten ist klar "unverhältnismäßig".
Tausend Artilleriegranaten in menschenleere Gebiete zu schießen, von wo Kassamraketen abgeschossen werden ist unverhältnismäßig. 1500 Kassamraketen auf israelische Städte zu schießen, nach dem Rückzug Israels aus Gaza ist durchaus angemessen.

Die Haager Landkriegsordnung von 1907, mehrfach konkretisiert etwa durch Waffenkonventionen, sowie die Genfer Konvention und ihre beiden Zusatzprotokolle sollen auch im Krieg ein Minimum an Humanität gewährleisten. Zu diesen Regeln der Kriegsführung gehört, dass nur "militärische Objekte" angegriffen werden dürfen. Das können, neben Kasernen und Raketenabschussbasen, auch die für den Nachschub genutzten Straßen oder militärisch bedeutsame Industrieanlagen sein. Nur: Was bei einer verdeckt agierenden Miliz wie der Hisbollah "militärisch" ist und was nicht, lässt sich schwer ausmachen - zumal, wenn die Angriffe aus der Luft geflogen werden.

Richtig. Deshalb dürfen Haifa, Saffed, Tiberias und sogar die arabische Stadt Nazareth angegriffen werden, weil da ja vielleicht ein Soldaten an der Bushaltestelle steht.

Heintze, Privatdozent am Institut für Friedenssicherungsrecht und Humanitäres Völkerrecht der Bochumer Universität, entnimmt dem Völkerrecht dennoch eindeutige Grenzen. Die Wasser- oder die Energieversorgung dürfe nicht zerbombt werden, ebenso wenig militärisch unbedeutende Verkehrswege: "Eine Guerilla darf nicht dadurch bekämpft werden, dass die gesamte zivile Infrastruktur zerstört wird."

Also klar: Der Flughafen von Beirut darf nicht zerstört werden, der Bahnhof von Haifa aber ja.
Vergleichsweise unproblematisch ist etwa gezielte Eindringen von Bodentruppen, mit dem Israel in der Nacht zum Mittwoch gegen Hisbollah-Stellungen im Grenzgebiet vorgegangen ist. Sehr viel größere Bedenken hat Heintze indes gegen die Luftangriffe. Denn der größtmögliche Schutz der Zivilbevölkerung, den die Genfer Konvention fordert, kann seiner Ansicht nach bei Bombardements im kleinen und dicht besiedelten Libanon kaum gewährleistet werden - zumal dort Hunderttausende auf der Flucht sind.

Keine Bedenken hat Heintze natürlich gegen Raketen, die ausschließlich auf israelische Städte abgeschossen werden.

Zwar sind "Kollateralschäden", wie der Tod unschuldiger Zivilisten im Militärjargon heißt, nach dem Völkerrecht nicht gänzlich ausgeschlossen. "Man darf allerdings nicht eine ganze Zivilbevölkerung für das in Haftung nehmen, was einige Übeltäter angerichtet haben", sagt Heintze.

Aber die "einige Übeltäter" (wie viele Hisbollah Kämpfer gibt es, die im Auftrag und Namen von 68,017,860 Iranern handeln) dürfen sehr wohl die 6 Millionen Israelis in Geiselhaft nehmen.


Ob israelische Verstöße gegen das Völkerrecht je geahndet werden, ist freilich höchst unwahrscheinlich.

Zum Glück stellt sich ja gar nicht erst die Frage, ob die Hisbollah jemals gegen das Völkerrecht gehandelt hat und schon gar nicht ihr militärischer Chef, Imad Murgnije, der einige der größten Terroranschläge im Nahen Osten zu verantworten hat.

Theoretisch wären Sanktionen des UN-Sicherheitsrats möglich - was aber von der Vetomacht USA verhindert werden dürfte.

Und was ist mit Sanktionen gegen Iran, Syrien oder Libanon, die Hisbollah finanzieren, bewaffnen und widerspruchslos beherbergen?

Und ein Verfahren vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag setzt eine Zustimmung Israels voraus.

Und wer muss einem Verfahren gegen Hisbollah zustimmen?

Dennoch hält Heintze die Regeln der Staatengemeinschaft nicht für bloße Theorie: "Die Hauptmacht des Völkerrechts ist die öffentliche Meinung."
(Wolfgang Janisch, dpa)
(n-tv Nahostkorrespondent Ulrich W. Sahm, Jerusalem)
quelle: http://www.n-tv.de/691120.html

1 Kommentar:

Morti hat gesagt…

Finde ich einen sehr guten Beitrag, der die Einseitigkeit der meisten Berichterstattung ganz gut wiedergibt und hinterfragt. Würde man nur den ursprünglichen Text lesen würden viele sagen: Die bösen Israelis. Liest man die Kommentare mit, denkt man sich: Haben die den ne Klatsche!